Neues aus Jinwar – dem Frauendorf in Nord-Ostsyrien

Liebe Freundinnen, liebe Unterstützerinnen von JINWAR,

wir hoffen euch geht es allen gut und ihr seid gesund!
Zum neuen Jahr 2022 wünschen wir euch einen guten Start in die Frühlingsmonate… Natürlich haben wir hier auch die neusten Nachrichten und Entwicklungen rund um das Corona-Virus verfolgt; dessen Verbreitung und dessen kurz- und langfristigen Auswirkungen auf unser Leben sind auch nach zwei Jahren noch verheerend. Die Maßnahmen, die von Seiten der Staaten ergriffen wurden, die Angstmacherei und vor allem die gesellschaftliche Distanzierung, werden noch tiefere Folgen hinterlassen, ähnlich wie die Narben des dritten Weltkrieges, der hier seit Jahren auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird. Gleichzeitig sehen wir die Bedeutung des politischen sozialen Lebens, welches dafür sorgt, selbstverantwortlich zu handeln und neben den ganzen Maßnahmen eigenständig zu handeln und Lösungen im Aufbauprozess für ein gleichberechtigtes, ökologisches Leben zu finden. Beispiele gibt es sowohl hier wie dort: die Versorgung durch die Gesellschaft ihrer Stadtviertel, untereinander solidarisch zu sein.

Während der Isolation und der Vereinsamung unter den Corona-Bestimmungen, hat die Gewalt gegen Frauen zugenommen, die Anzahl der Feminizide ist gestiegen. Hauptsächlich leiden Mütter unter der Schließung von Schulen oder Krippen, weil sie die Hauptbetreuung der Kinder übernehmen, oder sie sind die ersten, die von ihrer Arbeit entlassen werden. Zum anderen haben Frauen in der aktuellen Situation weniger bis keine Möglichkeiten sich außerhalb des Hauses zu bewegen, sich auszutauschen, Orte für Frauen aufzusuchen, sich zu organisieren. Gleichzeitig wird der Druck größer, traditionelle Rollen einzunehmen, die sie vorher überwinden konnten, in dem sie sich mit anderen Frauen organisiert und ihr Leben gemeinsam gestaltet haben.

In den letzten zwei Jahren haben wir einmal mehr gesehen und gespürt, wie wichtig die Bewahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und eine ökologische Lebensweise ist. Das bedeutet, gesunde Beziehungen zwischen der Natur und den Menschen und unter den Menschen aufzubauen. Hier in Jinwar – dem Frauen- und Kinderdorf in Nord-Ostsyrien – geht das Leben weiter. Es ist wichtig, dass das Leben weiter geht und nicht stillsteht.

Wir organisieren unser gemeinsames Leben und führen unsere Arbeiten fort. Auch wenn die Bedingungen schwieriger geworden sind, die Grenzen weiter geschlossen sind, das Embargo gegen die Selbstverwaltung weiterhin anhält, die Angriffe von Seiten der Türkei und ihren Banden sehr nahe stattfinden und wir erst vor zwei Wochen bei der gesellschaftlichen Selbstverteidigung gegen den geplanten Gefängnisausbruch der Daeş-
Gefangenen in Hesekê
121 Şehîds verloren haben. Wir erfahren hier als Frauen in unserem Alltag zwar keine direkte Gewalt und haben die Möglichkeit, uns auszutauschen, unsere Beziehungen zu vertiefen, zu planen und zu diskutieren, wie wir unser gemeinsames Leben gestalten wollen, jedoch fühlen wir den Schmerz aller Frauen die in der heutigen Zeit an vielen verschiedenen Orten dieser Welt kämpfen und Widerstand leisten.
Hier in Jinwar kommen wir als Rat alle zwei Wochen zusammen, diskutieren über die aktuelle politische Lage und die verschiedenen Entwicklungen im Dorf, wie zum Beispiel unser kommunales Leben oder über anstehende Aktionen, wie der 8. März, an welchem vor fünf Jahren der erste Grundstein dieses Dorfes gelegt wurde. Des weiteren werten wir die Arbeiten der unterschiedlichen Komitees im Dorf aus. Das heißt, wir diskutieren darüber, welche Fortschritte es gibt und ob es notwendig ist, unsere Arbeitsweise zu verändern. Auf dieser Grundlage planen wir dann auch die Arbeiten für die nächste Zeit. Wir überlegen gemeinsam, wer von uns für die nächste Zeit für welche Arbeiten verantwortlich sein wird. Außerdem wählen wir monatlich die Sprecherin des Dorfes.

Wir sehen in der aktuellen Lage, wie wichtig es ist, alternative Wege der Versorgung aufzubauen. Das heißt, lokale Ökonomien aufzubauen und Wege der Selbstversorgung zu schaffen. Je näher wir selber an unsere ökonomischen Versorgung beteiligt sind, desto besser können wir auch auf Ausnahmesituationen reagieren. Vor allem Gruppen, die hauptsächlich im ländlichen Bereich zusammen leben und arbeiten, können besser mit Veränderungen der ökonomischen Situation umgehen und darauf reagieren. Gleichzeitig bedeutet die Nähe zu unserer Versorgung auch eine größere Nähe zu unserem Umfeld und zur Natur. Dies stärkt unser ökologisches Bewusstsein und unsere Gesundheit.

Hier in Jinwar können wir uns in vielerlei Hinsicht selber versorgen. Wir haben viele Kräuter und essbare Pflanzen gesammelt, die in und rund um das Dorf wachsen. Des weiteren haben wir immer noch Getrocknetes und Eingemachtes vom letzten Jahr. Wir haben Joghurt und Käse von der Milch der Dorfschafe hergestellt und die Eier der Hühner im Dorf aufgeteilt. Mehrere Male die Woche backen wir weiterhin Brot in der Dorfbäckerei mit dem Mehl, welches wir letztes Jahr gemahlen haben.

Diese Jahr haben wir wieder die Felder bestellt, Weizen und Kichererbsen gesät, der durch den viel ersehnten Regen und den paar Tagen Schnee dann doch angesetzt hat und unter den ersten wärmenden Sonnenstrahlen schon sichtlich grün gesprossen ist.

Die Solarpanele, welche vor drei Jahren installiert wurden, versorgen uns weiterhin mit Strom. Unser Ziel ist es, dass das ganze Dorf mit Solar- und Thermoenergie versorgt wird. Durch die aktuelle Situation und das anhaltende Embargo können wir dieses Projekt jedoch noch nicht umsetzen.

Unsere Dorfschule «dayika uveyş » hat seit einer Woche wieder die Türen für die Kinder von Jinwar, sowie für jene von außerhalb, als Teil des Bildungssystems der Autonomen Selbstverwaltung dieser Region geöffnet. Ebenfalls wurden in dem Gesundheits- und Heilzentrum Şîfa Jin in den letzten Monaten 320 Patientinnen und Patienten mit Naturheilkunde und selbstgemachten Heilkräuter behandelt. Hauptsächlich Frauen und Kinder, aber auch ein paar männliche Patienten aus der Umgebung, haben das Gesundheitszentrum aufgesucht.
Das Team von Şîfa Jin verfügt jetzt auch über einen Krankenwagen, mit dem es Patienten heilen und sie bei Bedarf in verschiedene Krankenhäuser der Umgebung bringen kann. Neben den Behandlungen ist das Heilzentrum an sich ein wichtiger Ort für die Frauen, da sie hier andere Frauen treffen können, sich austauschen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen teilen können. Das allein trägt schon zur Stärkung ihrer Gesundheit und zur Heilung bei.

Wir hoffen, wir konnten euch mit diesem Newsletter einen Einblick in das Dorfleben geben. Natürlich gibt es noch Vieles, was wir hier nicht erwähnt haben, aber unsere Alltag bereichert, wie die zwei schönen Pfauen, die hier das Dorfleben bereichern, die jungen Lämmer, die Hühner, die täglich Eier legen, die vielen kleinen Sprossen der Obstbäume, oder die Winde aus allen Himmelsrichtungen, die Schneemenschen, die beim Schneegestöber entstanden sind oder das eingefrorene Wasser, die gemeinsamen Spaziergänge mit dicken Erdschollen an den Schuhen, durch die frische rote und feuchte vitaminreiche Erde. Wir können euch freudig mitteilen, dass es geregnet hat – der Regen hier wird als heilig betrachtet, nachdem er fast zwei Jahre auf sich hat warten lassen und die Trockenheit langfristige landwirtschaftliche Einbußen hinterlassen hat…

Wir freuen uns über Rückmeldungen, Ideen und Vorschläge. Schreibt uns wenn ihr eure
Gedanken und Fragen mit uns teilen wollt.

Und wir wünschen euch viel Kraft für die nächste Zeit!
JINWAR, Februar 2022


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