Umbrüche in Zeiten der Covid-19-Pandemie
Die Verbindungen unter Frauen, Trans und Non-Binären Personen stärken, die Fürsorge füreinander und das Leben wieder ins Zentrum stellen, die Natur in ihrer Vielfältigkeit achten, schützen und uns wieder als Teil dieser begreifen.
Bildung und Forschung zu Möglichkeiten solidarischer, demokratischer Selbstorganisierung aufnehmen und stärken – die Jineolojî entwickeln.
Was wir hier tun:
- Wir analysieren die Corona-Pandemie im Zusammenhang von Staat, Kapitalismus und Patriarchat
- Wir erklären, warum nach dem Ausnahmezustand die Rückkehr zur Normalität keine Lösung sein kann und warum wir ein neues gesellschaftliches Modell brauchen
- Wir stellen die Chancen der Organisierung als Frauen, Trans und Non-Binären Personen und die Möglichkeiten der Jineolojî im Zusammenhang mit den anstehenden radikalen Veränderungen vor
Mit der Corona-Pandemie hat eine denkwürdige, ungewöhnliche Zeit eingesetzt, das erlebt jede*r. Die bestehende Ordnung der Gesellschaft, der Wirtschaft, der globalen Beziehungen, war für einige Monate unterbrochen oder grundlegend verändert und ist es in Teilen weiterhin. Wir haben ein Kontakt- und Versammlungsverbot erlebt, in manchen Regionen Ausgangssperren. Weite Teile des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens standen still oder wurden in digitale Formen verlagert. Die Grenzen innerhalb Europas und noch mehr Europas Außengrenzen wurden geschlossen, der Reiseverkehr lag still. Ein Land nach dem anderen weltweit hat solche freiheitsbegrenzenden Regeln erlassen. Ein spezifisches Wahrnehmungsbild der Pandemie wurde verankert, aus dem dann die entsprechenden Maßnahmenkataloge abgeleitet wurden. In atemberaubendem Tempo wurden Bürgerrechte ausgesetzt, Bewegungsfreiheit radikal begrenzt und Überwachungstechnologien gesellschaftlich und praktisch durchgesetzt. Widersprechende Einschätzungen und Analysen werden hoch emotional abgewiesen. Statt gesellschaftlicher Debatte regiert die Autorität wissenschaftlicher Experten. Die Corona-Pandemie-Statistiken, Hygieneanweisungen und die Erforschung von Impfstoffen und Medikamenten sind zur täglichen Nachrichtenroutine geworden. Wissenschaft, Staat und Gesellschaft werden als eine „Wir-Gemeinschaft“ gestärkt. Wir alle sind demnach verantwortlich für das Ausmaß oder die Eingrenzung der Pandemie. Der Autorität von Wissenschaft und Staat genauestens zu folgen wird zum Lösungsweg erhoben.
Die Verantwortung des Staates und der Wissenschaft für die Ausformung der bestehenden gesellschaftlichen und globalen Strukturen, die die Dramatik dieser Pandemie erst herbeigeführt haben, treten so in den Hintergrund. Das ist am deutlichsten erkennbar in Bezug auf die herbeigeführte Verknappung der Versorgungskapazitäten im Gesundheitsbereich u.a. durch Einsparungen, Privatisierungen und die Schließung von Krankenhäusern. Aber auch bestehende soziale und globale Ungleichheiten und Benachteiligungen, die mit einer größeren Gesundheitsgefährdung auch durch den Virus einhergehen, werden sichtbar.
Diese unzureichende Ausstattung im Gesundheitsbereich, die durch eine schnell anwachsende Zahl von Kranken zu den schrecklichen, Angst einflößenden Bildern und Berichten führten, wie sie u.a. aus Bergamo/Italien zu sehen waren, zeigen die Unmenschlichkeit des bestehenden, staatlich abgesicherten, kapitalistischen Profitsystems. Benachteiligte Gruppen wie Wohnungslose, Geflüchtete in Sammelunterkünften und Inhaftierte sind weit härter betroffen als andere. Insbesondere die Länder des globalen Südens, in denen die Menschen tagtäglich mit den Folgen von Kolonialismus und neokolonialer Entwicklungs-, Handelspolitik und Kriegen, nicht zuletzt mit fortwährender Armut, Hunger, Vertreibung, fehlender Infrastruktur und insbesondere auch mit völlig unzulänglicher Gesundheitsversorgung kämpfen müssen, sind durch den neuen Virus in besonderem Ausmaß gefährdet. Das zeigt wie sehr die kapitalistische Moderne, also das gegenwärtige Ordnungssystem, gegen die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen gerichtet ist.
Die destruktiven, lebensfeindlichen Wirkungen des patriarchal-kapitalistischen globalen Systems reichen tief und haben eine lange Geschichte. Dass gefährliche Viren wie jetzt der Auslöser von Covid-19 sich entwickeln und verbreiten können, steht in direkter Verbindung mit der Zerstörung von Lebensräumen und Ökosystemen, der Ausbeutung der Natur, der monokulturellen Landwirtschaft und der industriellen Massentierhaltung, der Verdichtung von Lebensräumen in den Städten und den globalen Handels- und Reisewegen.
Eins muss uns daher klar sein: Die Rückkehr zur altbekannten Normalität nach der Ausnahmezeit wird das Bedürfnis nach einem sicheren und guten Leben nicht erfüllen können. Tatsächlich fangen mehr und mehr Menschen in diesem Zustand der Ungewissheit an, Fragen zum Sinn des Lebens, zur Ethik und zur Praxis eines guten Lebens zu stellen.
Es braucht einen Wandel aller gesellschaftlichen Verhältnisse
Die aufgrund des Corona-Virus entstandenen Zustände der Kontaktvermeidung bringen die Kaputtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Ordnungssystems, in dem wir leben, sehr offensichtlich auf den Punkt.
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Soziale Ungleichheiten verschärfen sich – sowohl lokal als auch global. Wer keinen guten Computer, ruhige Arbeitsräume und Unterstützung im Haushalt hat, kann nicht an Bildung teilhaben. Wer obdachlos ist findet nun kaum noch eine Toilette oder Waschmöglichkeiten, etc. Es sind nicht die am meisten Gefährdeten, die nun die schon lange benötigte humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung erhalten, wie beispielsweise die Geflüchteten in überfüllten Lagern an den Grenzen Europas, Menschen in Gefängnissen und in Sammelunterkünften, Roma in Osteuropa, die aufgrund von Diskriminierung bereits zuvor an den Rand des Überlebens gedrängt waren und oft ohne eigene Wasserleitungen leben, Personen ohne Krankenversicherung, Slumbewohner*innen überall auf der Welt, die Ärmsten und am wenigsten infrastrukturell versorgten Menschen weltweit. Europa macht stattdessen die Grenzen für die Einreise von Flüchtenden dicht, selbst innerhalb Europas werden nationale Grenzen und Interessen forciert, Gefangene und Menschen in Sammelunterkünften werden schweren Gesundheitsrisiken ausgesetzt, Roma erfahren zusätzliche rassistische Anfeindungen. Wir wissen genau, dass Wirtschaftsförderpläne nicht gemacht werden, um die menschenverachtende, neokoloniale, globale Ungleichheit zu überwinden.
- Die Kleinfamilie als zentrales Konzept und einzige soziale Bezugsgruppe wird verstärkt. Nur engste Familienkontakte sind erlaubt und Frauen, auch hochprofessionell qualifizierte Frauen, finden sich zu ihrer eigenen Verwunderung in der klassischen Rolle der Hausfrau und betreuenden Mutter wieder.
- Patriarchale und sexualisierte Gewalt gegen Kinder und gegen Frauen nimmt zu. Frustrationen werden gewaltvoll und noch massiver als zuvor gegen die Schwächsten, gegen Kinder, gerichtet. Morde an Frauen (Feminizide1) nehmen zu. Das eigene Zuhause ist für viele Frauen ein gefährlicher Ort. Körperliche Selbstbestimmung auch z.B. über Schwangerschaften wird reduziert, da Verhütungsmittel weniger verfügbar sind (u.a. Spiralen nicht mehr eingesetzt werden) und Schwangerschaftsabbrüche zu lange hinausgezögert werden oder nicht mehr vor dem Partner oder den Eltern verheimlicht werden können. Geschlechtsangleichende Versorgung, die für viele Transgenderpersonen wichtig ist, wird aufgeschoben.
- Der psychische Druck, die Einschüchterung, Bedrohungsszenarien wie auch Einsamkeit und die großen Unsicherheiten der Corona-Krise sind für viele Menschen nicht zu verarbeiten. Gleichzeitig werden sie aufgrund erzwungener „sozialer Distanz“ alleingelassen, professionelle psychosoziale Hilfe ist oft nur noch telefonisch verfügbar. Die allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse schwächen die Menschen zusehends und machen psychisch und auf allen Ebenen krank.
- Die Individualisierung und Vereinsamung nimmt zu. Die Isolation der Menschen voneinander – Kontaktverbot/-vermeidung, Distanz, abgeschottete Grenzen – ist die Hauptlösung, die uns angeboten und aufgezwungen wird. Die Zersplitterung weiter, solidarischer Zusammenhänge, der Verweis auf die Kleinfamilie als sozialer Bezug, die soziale Einsamkeit und Konkurrenz zwischen den Menschen sind charakteristisch für das patriarchal-kapitalistische System.
- Totalitäre und faschistische Kräfte gewinnen an Macht und Einfluss. Rechte, autoritäre Regierungen nutzen die Corona-Krise, um ihre Macht zur Diktatur auszuweiten. Die ungarische Regierung hat das Parlament entmachtet und regiert per Dekret. Die rechts-nationale Regierung Polens hat das Wahlgesetz geändert und hatte versucht, während des Corona-Stillstandes Präsidentschaftswahlen zu ihren Gunsten durchzuführen. Andere europäische Staaten haben äußerst demokratiefeindliche Ausnahmegesetze erlassen. Die britische „Coronavirus Bill“ wurde für die Dauer von zwei Jahren eingesetzt und enthält ein Bündel drastischer Zwangsmaßnahmen wie beispielsweise die Möglichkeit, Personen bei Verdacht auf Infizierung für die Isolierung festzunehmen und Testverweigerer sowie Menschen mit geistiger Behinderung zu inhaftieren. In Deutschland wurden im April Proteste für die Ausweitung der Corona-Solidarität auf Geflüchtete u.a. für die Auflösung der überfüllten griechischen Lager, trotz eingehaltenem physischen Abstand und Gesichtsmasken, mit Verweis auf die Infektionsschutzverordnung aufgelöst, Teilnehmende wurden festgenommen und registriert. Sogar ein Autokorso wurde unterbunden. Eine öffentliche Zwei-Frauen-Kunstaktion wurde unter Androhung hoher Strafen verhindert, denn nicht nur Bewegung im Freien mit einer politischen Motivation sei nicht mehr erlaubt, es sei auch verboten, Objekte mit politischem Hintergrund abzulegen. Auch in den Monaten danach wurden mit Verweis auf die Durchsetzung von Hygieneregeln immer wieder Menschen gewalttätig durch die Polizei angegriffen.
- Sicherheit wird in Autoritäten gesucht: Wissenschaft, Statistik, Virologen und durch diese informierte RegierungspolitikerInnen oder auch Verschwörungstheoretiker, die eindeutige Aussagen zur Ursache und zu Wirkungen und Maßnahmen machen, die befolgt werden müssen.
- Die Tätigkeiten in der Krankenversorgung, der Altenpflege, im Lebensmittelvertrieb, in der Kinderbetreuung, in der Reinigung und Hygiene, in der häuslichen Versorgung und (Vorrats-) Hauswirtschaft – alles klassischerweise unter- oder nichtbezahlte Tätigkeiten von Frauen – werden nun als „systemrelevant“ bezeichnet und dankend beklatscht – radikales Umdenken findet nicht statt.
„Die Krise der Pandemie des Corona-Virus zeigt uns einmal mehr, dass patriarchale Staaten niemals in der Lage sein werden, eine angemessene Antwort auf die Probleme zu geben, mit denen wir als Gesellschaft konfrontiert sind. Wir müssen eine andere Gesellschaft aufbauen, […]“
(Amargi, WomenDefendRojava)
Wir sind durch mehr als eine Pandemie gefährdet
„Wir als Frauen müssen eine entscheidende Rolle übernehmen uns selbst zu verteidigen und nicht zuzulassen, dass diese Pandemie dazu genutzt wird, die Gesellschaft weiter zu zerstören, uns noch mehr Gewalt zuzufügen oder ein System fortzusetzen, das zur Vernichtung des Planeten führt.“
(Amargi, WDR)
Auch ohne die Corona-Pandemie und freiheitsberaubende autoritäre Maßnahmenkataloge ist die patriarchal-kapitalistische Ordnung vor allem für Frauen, Trans- und Interpersonen eine ständig und zunehmend gewalttätige und lebensbedrohende Ordnung. Feminizide – also Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts – nehmen weltweit zu.
Mehr als die Hälfte aller Transpersonen und mehr als jede dritte Frau erfährt körperliche und/oder sexualisierte Gewalt – in manchen Ländern deutlich mehr. Es ist leider keine Selbstverständlichkeit, den Schmerz über diese Gewalt zu spüren und aufzuschreien. Es gehört zur Normalität, dass weggeschaut und diese Gewalt wie eine private Angelegenheit behandelt wird. Gewaltverbrechen an Frauen werden heruntergespielt: als private Angelegenheit, „Beziehungsdrama“ oder Schicksal. Mehr als ein Drittel der Morde an Frauen werden von den männlichen Partnern in heterosexuellen Partnerschaften begangen. In Deutschland wird allein nach den registrierten Fällen im Schnitt jeden Tag ein Frauenmord in Partnerschaften versucht und davon wird mehr als jeder Dritte vollendet. Feminizid wird auch eingesetzt, um ganze ethnische bzw. kulturelle, religiöse, indigene oder andere Gruppen auszulöschen. In allen Kriegen werden Frauen aus strategischen Gründen vergewaltigt. Mit ganz besonderer Härte und menschenverachtender Brutalität werden Frauen, die mit der Waffe für eine geschlechterbefreite Gesellschaft kämpfen, angegriffen und deren Folter und Ermordung öffentlich bekannt gemacht, um ein Exempel zu statuieren und damit auch alle anderen zu entmutigen und abzuschrecken.
Doch der Widerstand gegen patriarchale Familienkonzepte, Arbeitsteilung, Naturausbeutung und Gewalt hat eine lange Geschichte. Diese Jahrtausende währende Tradition wird von den gegenwärtigen Kämpfen gegen patriarchale Gewalt, die weltweit geführt werden, fortgeführt. Diese verbreiten sich von einem Land und Kontinent zum nächsten. So geht der Internationale Aktionstag zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November zurück auf einen Beschluss der ersten Feministischen Konferenz Lateinamerikas und der Karibik, die 1981 in Kolumbien stattfand. Der Tag bezieht sich auf den Mord an den Mirabel-Schwestern, die in der Dominikanischen Republik gegen den Diktator Trujillo kämpften. Seither wurde dieser Tag in allen Teilen der Welt und von zahlreichen, sehr verschiedenen Organisationen und Bewegungen aufgegriffen und mit Aktivitäten gestärkt. Auch in Deutschland finden seit einigen Jahren an diesem Tag Demonstrationen, Fahnenaktionen, Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen und anderes statt. Auch die Tradition der #NiUnaMenos Demonstrationen gegen Frauenmorde hat in Lateinamerika, insbesondere in Argentinien, ihren Anfang genommen und wurde inzwischen zu einer weltweiten Kampagne, die vor allem Feminzid, aber auch die Ungleichbehandlung und Entrechtung von Frauen und Transpersonen thematisiert. Überall werden Praktiken der Selbstverteidigung entwickelt und weitergegeben. So entwickelten in den USA und in Europa Frauen und Lesben seit den 1960er Jahren mit Wendo, dem „Weg der Frauen“, eine Form der Selbstverteidigung und Selbstbehauptung, die nur unter Frauen und Mädchen weitergegeben wird. Ähnliche Praktiken der Organisierung zur Stärkung der Selbstverteidigungsfähigkeiten bestehen an vielen Orten weltweit, wie beispielsweise die Gulabi in Indien.
Wir können beobachten wie in den letzten Jahren feministische Debatten, Organisierungen und Proteste wieder mehr Aufmerksamkeit, Dynamik und Zulauf erhalten, beispielsweise der Frauenstreik am 8. März. Nach erfolgreichen Frauenstreiks in Argentinen und Polen im Herbst 2016 nahm die aktuelle Welle von Frauenstreiks ihren Anfang. In Polen wurde eine noch schärfere Version des Abtreibungsverbotes verhindert. 2017 wurde in über 50 Ländern für gleiche Bezahlung, gegen häusliche Gewalt und Feminizide sowie für körperliche Selbstbestimmung gestreikt. Seither reißen die Streiks nicht ab. 2018 streikten allein in Spanien 5 Millionen Frauen, Trans und Non-Binäre Personen am 8. März. Frauenstreiks haben eine Tradition, die sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Zum Beispiel streikten die First Nation Frauen der Haudenosaunee für das Veto-Recht bei Entscheidungen über Kriege.
Mit Jineolojî auf selbstbestimmte, freiheitliche Gesellschaftsalternativen schauen
Die Gesellschaft erkennt derzeit die essentielle Bedeutung von Tätigkeiten der Versorgung, Fürsorge, Pflege, Krankenversorgung, Kinderbetreuung, Sozialen Arbeit und Bildung. Diese Aufgaben, die alle um das Leben und um soziale Zusammenhänge zentriert sind, werden im patriarchal-kapitalistischen System herabgewürdigt, gering oder gar nicht bezahlt. Dennoch werden trotz Überlastung diese Tätigkeiten ethisch-verantwortlich ausgeführt und ein pflegebedürftiger Patient oder Kinder nicht einfach sich selbst überlassen. Die Jineolojî erforscht Wissen für ein alternatives Modell gesellschaftlichen Lebens, welches Leben zu geben, zu versorgen und zu gestalten ins Zentrum stellt. Dabei bilden matriarchale Werte, das Wissen von Frauen wie auch die Ideen und Praktiken von revolutionären Frauenbewegungen weltweit eine wichtige Basis.
„Denn das Corona-Virus zeigt uns einmal mehr, dass es keine andere nachhaltige Alternative gibt als eine Gesellschaft, die Menschen und Gesellschaften durch demokratische Prozesse in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindung stellt. Die auf der Befreiung der Frauen basiert und die auf ökologische Weise mit dem Planeten verbunden ist. Eine Alternative, die das Leben verteidigt […]“
(Amargi, WomenDefendRojava)
Wir sprechen hier von einem grundlegend anderen Blickwinkel auf die Welt und auf das Leben. Die vorherrschende, positivistische Methode als Erkenntnisweise ist grundlegend für die Herrschaftsverhältnisse, die uns in die gegenwärtige Krise gebracht haben. Dabei wird die wissenschaftlich-objektive Aussage zur Autorität für staatliche, naturverwertende und sozial-technokratische Planungen und Fortschrittsdenken. Nur Abbildbares, aber keine subjektiven, ethischen oder metaphysischen Faktoren werden berücksichtigt. Zudem basiert diese Erkenntnisform meist auf vereinfachenden Gegensatzpaaren, also binären, hierarchisch geordneten Kategorien wie Mann-Frau, Kultur-Natur, öffentlich-privat, Subjekt-Objekt. Wir alle sind von dieser positivistischen Erkenntnislehre geprägt – unsere Denkweisen, unsere Wertebasis, unsere Art und Weise wie wir Beziehungen zu anderen Menschen, aber auch zur Natur denken und gestalten, welches Wissen wir als wahr annehmen oder als irrational verwerfen. Das können wir als patriarchale Mentalität bezeichnen, denn diese Methode zu Erkenntnissen, Erklärungen, Wissen und Weltbildern zu kommen, ist ein Werkzeug des Patriarchats, um diese zerstörerische, hierarchische Ordnung gesellschaftlich tief zu verankern und dagegen abzusichern, angezweifelt zu werden.
Jineolojî als wissenschaftliche Methode
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns die Jineolojî als wissenschaftliche Methode aneignen, die wir brauchen, um diesen Wechsel zu vollziehen. Das schließt die eigene Veränderung ein, also die patriarchale Mentalität in uns zu erkennen und zu überwinden. Das können wir nicht alleine „im stillen Kämmerlein“. Dafür brauchen wir solidarische, kritische Kommunikation und kollektive Prozesse. Auch in Zeiten, die kaum körperliches Zusammensein erlauben, dürfen wir nicht aufhören, kollektive Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Die selbstorganisierten Gemeinschaften der zapatistischen Bewegung in Chiapas, Mexiko, und die selbstorganisierte Gesellschaft der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien beispielsweise rufen sowohl dazu auf, in den Häusern zu bleiben und sich nicht zu versammeln, als auch dazu, die kollektiven Beziehungen nicht zu unterbrechen.
Das ist etwas anderes als die staatlich angewiesene Kampagne für ein „gemeinsames Narrativ (#wirbleibenzu-hause)“, die in einem Strategiepapier des Bundesinnenministeriums vorgedacht wurde und die auch die Beziehung zwischen Staat und Bevölkerung festigen soll. Im demokratisch selbstverwalteten Nord- und Ostsyrien wurde beispielsweise dem Gesundheitspersonal die Führung des Kommandos übertragen – keinem Ministerium, nicht dem Militär oder der Polizei. Die Bevölkerung ist dazu aufgerufen, ihnen beizustehen.
Die selbstbestimmten Beziehungen als den Ausgangspunkt der ethischen Gesellschaft und von Erkenntnis zu begreifen ist entscheidend. Freie Beziehungen, freie Familien ohne Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse – Hevjiyana azad – brauchen die Überwindung der dominanten Männlichkeit, die sich u.a. als Besitzdenken, Machtausübung und einem patriarchalen Ehrbegriff zeigt. Freie, uns stärkende Beziehungen und gesellschaftliche Verbindungen ermöglichen Mechanismen von Selbstverteidigung, die in der Welt der positivistischen und kapitalistischen Ausbeutungspolitik jedoch permanent angegriffen werden und dadurch schwach entwickelt sind.
Verantwortliche, respektvolle, ehrliche und fürsorgliche Beziehungen auf Augenhöhe sind die Grundlage, um Wissen zu entwickeln und weiterzugeben, um die Welt zu verstehen und Probleme zu lösen. Das unterscheidet sich grundlegend von der positivistischen Wissenschaft, die Objekte isoliert, kategorisiert, kontrolliert und den Forscher zum mystisch erhöhten Experten erklärt, der sich – vermeintlich körperlos – von der Welt distanzieren kann, die er beforscht.
Wissen und Körperlichkeit können nicht voneinander getrennt werden. Unsere Körperlichkeit, kulturelle und andere Erfahrungen gehen in unsere Denkweise und Forschungen ein. Die Situation, in der wir leben, unsere Gedanken und die Art unserer Beziehungen prägen wiederum unsere Körper und unsere Gesundheit. Eine Mitarbeiterin von Şîfa Jin, dem Anfang März 2020 eröffneten Gesundheitszentrum für Frauen und Kinder im Frauendorf Jinwar, Nordsyrien, erklärt: „Wenn unsere Beziehungen zwischen uns und unserer Umgebung, den Menschen und der Natur, aus dem Gleichgewicht geraten, beeinflusst das auch unsere Gesundheit. […] Die Probleme, mit denen Frauen in die Klinik kamen, waren, wie wir erwartet hatten, mit ihrer Rolle im Haus, in der Gesellschaft und auch mit der Art ihres Lebens verbunden. […] Wir sagen: Verstehen bedeutet Freiheit. Und natürlich gibt es nichts, was heilender ist als Freiheit. Unser Körper fühlt sich besser. Unser Herz und unser Verstand fühlen sich besser.“
Jin-Jiyan-Azadî, Frauen-Leben-Freiheit: Mit der Natur verbundene Lebensweisen wieder zurückerlangen
Die Probleme hierarchischer sozialer Teilungen, der Kontrolle, der Fremdbestimmung und Ausbeutung, die sich gegen Menschengruppen und gegen die Natur als der uns versorgende Lebensraum richtet, nahmen mit der Entstehung des Patriarchats ihren Anfang. Im Verhältnis zur langen Menschheitsgeschichte sind die wenigen Jahrtausende patriarchaler Herrschaft allerdings eine recht kurze Phase, zumal zu keiner Zeit die Gesellschaften und insbesondere die Frauen und Non-Binären Personen aufgehört haben gegen das Vordringen dieser frauen-, natur- und insgesamt lebensfeindlichen Ordnungsform Widerstand zu leisten. Nur langsam konnte das Patriarchat in die egalitären, kollektiven, um das fürsorgende Leben herum organisierten Lebensweisen eindringen und diese verändern. In Europa brauchte es zu Beginn der Neuzeit die Verfolgung, Dämonisierung, Folter und Ermordung hunderttausender Frauen als Hexen, um eine neue hierarchische Zwei-Geschlechterordnung durchzusetzen. Auch jeder Ausdruck von nicht-binären Geschlechtsentwürfen, also Menschen, die sich weder als Mann oder Frau verorten, wurde folglich rigoros verfolgt. Sexualität wurde streng reglementiert und sollte fortan ausschließlich der Fortpflanzung dienen. Die Frau wurde gleichgesetzt mit „die Gebärende“, ins Häusliche verbannt und unter die Kontrolle des Ehemannes gestellt. Dabei wurde bewahrtes Wissen wie bspw. über Verhütung und Abtreibung und die gesellschaftliche Rolle von Frauen und non-binären Personen z.B. in der kollektiven Bewirtschaftung von Land und der Versorgung von Bedürftigen zerstört. Auch Rituale und Feiern der Gemeinschaft wurden zunehmend verdrängt und gingen verloren. Die Existenz von vielfältigen Geschlechtsidentitäten in Europa vor der Durchsetzung der hierarchischen Mann-Frau Ordnung durch die Hexenverfolgung ist heute nahezu unbekannt und erst Recht der Widerstand, den diese Menschen über viele Jahrhunderte leisteten. Die Selbstständigkeit, aber auch die Vielfältigkeit von Frauen wurde durch die Praxis der Hexenverfolgung massiv angegriffen. Bis heute ist unser Verständnis von „Frau“ durch diese Zeit geprägt und die Isolation der Frauen voneinander spürbar.
All dies bedeutet aber auch, dass das Wissen über alternative Lebensweisen und Geschlechterrollen nur wenige Generationen vor uns noch vorhanden war. Die Zerstörung freiheitlichen Lebens ist zwar immer weiter und tiefer in die Gesellschaften und ins uns alle eingedrungen, doch es ist bis heute nicht alles verloren gegangen. Das ist wichtig zu begreifen.
Selbstorganisierung als Frauen, Trans und Non-binäre
Die gegenwärtige Krise, die sich als eine weitere Krise zum Krisenzustand des kapitalistisch-patriarchalen Systems addiert, führt uns noch deutlicher vor Augen wie sehr und wie bald (oder auch dringend) wir gesellschaftsumfassende, organisierte Frauenstrukturen brauchen, die tragfähig und langandauernd sind. Wie die Schüler*innen von FridaysforFuture dazu ermahnen, die radikale Veränderung unserer Lebens- und Wirtschaftsweise nicht weiter aufzuschieben, so betrifft das nicht nur die Klimakatastrophe. Die Katastrophe, die keinen Aufschub zulässt, ist umfassend – wir haben dazu einiges im ersten Teil des Textes geschrieben. Die Katastrophe sind das Patriarchat sowie die kapitalistisch-staatliche Struktur.
Der radikale Stillstand durch die Corona-Pandemie hat der Natur lange nicht dagewesene Freiräume geschaffen. Die Luft konnte aufklaren und Berge waren von weit her wieder sichtbar, Fische kamen wieder Flüsse herauf, in denen das Wasser nun sauber war, wilde Tiere waren in verkehrsstillen Städten anzutreffen. Die Natur ist stark und die ökologische Katastrophe wird so erst recht spürbar. Denn es gibt ja keine Wende in Bezug auf die Naturzerstörung. Diese wird im Gegenteil mit der Wiederankurbelung der Wirtschaft verstärkt fortgesetzt.
Eine komplette Hinterfragung des Gesamten und die Suche nach einer Lösung, die uns aus diesem System herausführt, ist unsere Orientierung. Der Wunsch nach Freiheit und die Möglichkeit dafür – für ein gutes Leben, fürsorglich miteinander und in Verbindung mit der Natur treibt uns an. Unser Slogan und Orientierung für ein neues Leitbild ist „Jin-Jiyan-Azadî“ – Frauen, Leben, Freiheit. In diesem Slogan steckt eine Lebensphilosophie. Diese zeigt uns, dass nur durch die freie Frau das freie Leben aufgebaut werden kann. Es ist ein Ruf gegen die patriarchale Mentalität. Wir können keine freie Gesellschaft aufbauen, wenn die Geschlechterverhältnisse nicht befreit sind. Um die gesellschaftlichen Probleme zu lösen und für ein gutes Leben, braucht es die Freiheit der Frau in all ihrer Vielfalt als Grundlage.
Das Andrea Wolf Institut, das zur Jineolojî Akademie in Rojava/Nord- und Ostsyrien gehört, schreibt:
„Die Saat für den Aufbau eines neuen Paradigmas haben wir bereits gesät. Diejenigen, die sich bis heute der Unterdrückung widersetzt haben, tragen in sich noch immer demokratische Werte und kennen Wege, sich kollektiv und solidarisch miteinander zu organisieren. In der revolutionären Bewegung Kurdistans finden wir einen Vorschlag für ein neues Paradigma. In diesem Moment weltweiter Krankheit müssen wir uns darauf konzentrieren, wie wir das Leben, seine wahre Ethik und Freiheit auf globale und ganzheitliche Weise verteidigen.“
Jineolojî – Wissenschaft aus der Perspektive der Frau und Bildung für den Aufbau alternativer gesellschaftlicher Modelle
Seit 2014 wird die Jineolojî in Europa bekannt gemacht und seit 2017 bauen wir Strukturen für die Jineolojî-Arbeit auf. Es gibt seither Jineolojî-Bildungscamps und ein Netz von regionalen Jineolojî-Komitees in vielen Regionen Europas: Nord- und Süditalien, Katalonien, Baskenland, Großbritannien, Schweden, Belgien und Deutschland. Die Jineolojî wird in weiteren Regionen Europas diskutiert. Sie wird im Nahen und Mittleren Osten immer bekannter wie auch in Indien und in Lateinamerika. In vielen Ländern Lateinamerikas können die Bewegungen mit großer Leichtigkeit die Jineolojî an vorhandene indigene Kosmologien anknüpfen.
Die Jineolojî wurde aus den Erfahrungen der Kurdischen Frauenbewegung entwickelt, inmitten und aus dem revolutionären Befreiungskampfes heraus. Sie hat starke Wurzeln in der Geschichte matriarchaler Kultur in Mesopotamien und wird in eigenen Akademien, Forschungszentren, einer universitären Fakultät, mittels einer Fachzeitschrift, einer internationalen Website, Broschüren und Büchern in den kurdischen Gebieten und darüber hinaus weitergegeben und weiterentwickelt. Aufbauend auf den Grundgedanken der Jineolojî wurden außerdem in Nord- und Ostsyriens, bekannt als Rojava, bereits viele Projekte der Frauenbildung und Frauenselbstorganisierung, wie unter anderem das Frauendorf Jinwar mit aufgebaut. Jineolojî wurde in die Schulbildung und die universitäre Ausbildung integriert.
Die Jineolojî als neue Wissenschaft ist eine Methode und bietet Grundideen, um die patriarchale Realität der Welt und von uns selbst in unserer Persönlichkeit zu analysieren und neu zu denken. Jineolojî ist ein gesellschaftliches Projekt. Alle gesellschaftlichen Bereiche – Wirtschaft, Politik, Bildung, Ethik, Ästhetik etc. – und unser Verhältnis zur Natur können so auf eine neue Art erforscht werden. Forschung und Bildung sind mit dem Aufbau kollektiver Beziehungen verbunden und die neue, auf ethischen Werten basierende, politisch selbstverantwortliche Gesellschaftlichkeit zu entwickeln. Die Analysen von Gesellschaft, von Persönlichkeit, von Geschichte sind Teil der radikalen Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Die Jineolojî ist Teil revolutionärer Prozesse der Überwindung des kapitalistischen Patriarchats.
Aus der Corona-Krise Wissen für eine alternative Gesellschaftlichkeit ziehen
In dieser Umbruchsituation angesichts der Pandemie wird bereits viel neues Wissen entwickelt und altes wiederbelebt. Außerhalb des Staates und der technokratisch vorgedachten Aufforderungen entwickeln sich autonome Formen der Selbstorganisierung, Kommunikation und Unterstützung in vielen Nachbarschaften. In diesen Prozessen können sich Beziehungen zueinander und der Zusammenhalt der lokalen Gemeinschaften verändern. Die Veränderung kann tiefer gehen als allein pragmatische Aspekte wie Lebensmitteleinkäufe für Bedürftige oder wieder zu wissen, wie Hefe und Selbstgebackenes hergestellt werden.
Wir denken, dass das autonome System der Gesellschaftsorganisierung, das parallel zum staatlichen System entsteht, eine Verbindung mit den beschriebenen mentalen Veränderungen des staatlich-kapitalistisch-patriarchalen Systems in uns selbst braucht. Viele Fragen werden bereits aufgeworfen, die wir verstärken können. Wie wäre ein Leben ohne das gegenwärtige System? Wie könnte das Leben anders organisiert werden? Statt Mietenbremse zu fordern, könnten wir fragen, warum wir Mieten zahlen müssen. Nach der Erfahrung der staatlichen Beschneidung von Freiheitsrechten und strenger Regulierung gepaart mit dem Erwartungsdruck, den Staat bei allen Maßnahmen zu unterstützen: Wollen und brauchen wir einen Staat? Statt mit Prämien für Gesundheitsarbeiter*innen zufrieden zu sein, kann die Frage betont werden, wie körperliche Selbstbestimmung der Menschen in Zukunft aussehen könnte. Der negative Blickwinkel auf die Ausnutzung von Frauen in sozialen Berufen könnten wir verändern hin zur Beachtung der großen gesellschaftlichen Wirksamkeit von Frauen.
Das wiederum braucht Bildung – nicht im Sinne herkömmlicher, im positivistischen Wissenschaftsverständnis fußender Bildung, sondern als revolutionäre Bildung. Wir müssen grundlegende Fragen neu stellen: Was ist (gutes) Leben? Was ist Freiheit? Was ist Frau? Was ist Wahrheit? In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Was ist eine politische Gesellschaft?
Die Kurdische Bewegung und Abdullah Öcalan mit seinen politisch-philosophischen Ideen und Konzepten sind uns Inspiration, nicht zuletzt damit, wie Bildungsprozesse in allen Bereichen der Bewegung und als gesellschaftliche Bildung verankert sind. Revolutionäre Prozesse werden im Kern als Bildungsprozesse verstanden, die die Persönlichkeitsentwicklung mit einbeziehen. Für viele freiheitsliebende Menschen weltweit ist insbesondere der gesellschaftliche Neuaufbau im selbstverwalteten Nord- und Ostsyrien, der sich an den Ideen Abdullah Öcalans orientiert, eine gelebte Utopie. Es ist lehrreich sich mit diesem Beispiel auseinanderzusetzen.
Die Forschungen der Jineolojî sind eingebettet in den Aufbau der ethisch-politischen, selbstverantwortlichen Gesellschaft. Damit sollen die vielen tiefen Fragen eines neuen Lebens und einer neuen Gesellschaftlichkeit gemeinsam und als Teil der revolutionären Veränderungen beantwortet werden.
Die gegenwärtigen Bedingungen und Zuspitzungen sind für uns eine Motivation, die Forschungs- und Bildungsaktivitäten zu verstärken. Wir möchten auch andere dazu motivieren.
Physische Distanz einzuhalten schließt sich nicht mit kollektivem Lesen aus. Gedanken können ausgetauscht werden, um gemeinsam tiefer zu gehen, und sie können kreativ und öffentlich verbreitet werden (nicht nur digital). Im März ist das erste deutsche Jineolojî-Buch veröffentlicht worden. Es enthält die Beiträge des ersten Jineolojî-Bildungscamps in Deutschland, das im September 2018 stattfand. Ihr könnt das Buch beim Jineolojî Komitee Deutschland ([email protected]) bestellen. Heftchen zum Download, die eine kurze Einführung in die politische Philosophie der Kurdischen Bewegung bieten, findet ihr hier: https://civaka-azad.org/service/broschueren/. Auf der Jineolojî Website findet ihr viele Beiträge – Texte und Kurzvideos – zu grundlegenden und spezifischen Aspekten der Jineolojî in Deutsch und anderen Sprachen: https://jineoloji.eu/de/. Derzeit entstehen neue Webinare vom Network Women Weaving Future, dem Netzwerk, das 2018 die Internationale Frauenkonferenz „Revolution in a Making“ in Frankfurt durchgeführt hat und am Aufbau eines Weltkonförderalismus der Frauen arbeitet. Diese Webinare findet ihr hier: https://www.youtube.com/channel/UCov_LD9WpZu3gc5ANZtGu-Q
Ihr könnt euch in eurer Nachbarschaft und in eurem sozialen Umfeld umschauen. Oder von den Erfahrungen der gesellschaftlichen Selbstorganisierung lernen, die weltweit an vielen Orten weiterbestehen oder neu entwickelt werden. Kollektive und feministische Organisierung, ob lokal, national und transnational, findet auch jetzt in Pandemie-Zeiten weiter und in neuen Formen statt. Wir können dort nach Antworten für eine radikale Veränderung der Lebensverhältnisse suchen und Verbindungen schaffen.
Ein kritischer Blick auf das bestehende System der Krankenversorgung und Pflege ist schon lange für viele damit verbunden, alternative Heilweisen, Gesundheitspraktiken und Wissen zur Unterstützung gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen zu entwickeln. Auch feministische Gesundheitszentren haben eine lange Tradition. Wir finden es wichtig und haben angefangen, die Verwicklung von Patriarchat und Gesundheit gut zu begreifen und selbstbestimmtes Heilwissen zu verbreiten.
Es gibt viele Erfahrungen aus feministischen und anderen Widerstandsbewegungen, die wir aufgreifen können. Wenn jetzt beispielsweise der Sinn von regionaler statt globaler Versorgung erkannt wird, können die Erfahrungen mit solidarischer Ökonomie ausgewertet werden. Solidarische Ökonomie bezieht sich auf bedürfnisorientierte, soziale, demokratische und ökologische Ansätze und solidarökonomische Projekte sehen sich im Dienste des Menschen stehend. Wir können überlegen, wie diese und viele weitere Ideen und Erfahrungen eingehen können in die notwendige, radikale Veränderung aller Herrschaftsverhältnisse und wie wir einen weltweiten Demokratischen Konföderalismus der Frauen aufbauen.
Jineolojî Komitee Deutschland, 25.06.2020
1 Die Begriffe Femizid und Feminizid werden meist synonym verwendet. Wir benutzen hier den Begriff Feminizid, da dieser den Mord an Frauen gesellschaftspolitisch und zwar als Folge von Geschlechterdiskriminierung einordnet. Das entspricht auch dem spanischsprachigen „feminicidio“, das im feministisch-theoretischen Wortschatz Lateinamerikas und Spaniens etabliert ist (statt „femicidio“ für Mord an Frauen). „Femizid“ ist in Deutschland jedoch für viele genauso feministisch-politisch geprägt wie „Feminizid“.