Frieden, wie Frauen ihn sich vorstellen – und Demokratie, wie Frauen sie aufbauen

Der Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft und die Rolle der Frauen im anstehenden Friedensprozess

Necîbe Qeredaxî
Übersetzt aus dem Englischen. Erschienen im Mai 2025.

Die Gesellschaften des Nahen Ostens und Kurdistans liegen, aufgrund ihrer geopolitischen Lage, an der Schnittstelle dreier Kontinente und dienen schon lange als Handelskorridor. Diese Region war sowohl die Wiege der ersten großen institutionalisierten Religionen und natürlicher Glaubenssysteme als auch der Ursprungsort vieler historischer Innovationen – konstruktiver aber auch destruktiver Natur. Sie brachte die erste Frauenrevolution hervor, die Revolutionen des sesshaften Lebens, der Sprache, der Kultur und der Landwirtschaft, war aber gleichzeitig auch der Geburtsort der ersten Hierarchien, des Aufkommens von Autorität und der Etablierung des Staates auf patriarchalen Fundamenten. Diese Region war daher schon immer von Konflikten geprägt.

Infolgedessen waren abgelegene Gemeinden immer wieder Ziele von Invasionen. Im Laufe der Geschichte waren die kurdische Gesellschaft und ihre ethnischen Wurzeln immer wieder systematischer Besatzung ausgesetzt. Doch ihre tief verwurzelte Kultur des Widerstands und der Selbsterhaltung, ihre relative Immunität gegenüber autoritären und hierarchischen Denkweisen und ihre starke Verbindung zu dem Land und ihren kulturellen Werten haben dafür gesorgt, dass jeder Besatzungsversuch letztlich gescheitert ist – vor allem im vergangenen Jahrhundert. Vom physischen Völkermord bis hin zu psychologischen und wirtschaftlichen Kriegen waren die Kurden allen Formen von Angriffen ausgesetzt. Die kurdische Gesellschaft, die oft in prekären Verhältnissen existierte, wurde in einen Zustand gedrängt, in dem nicht nur ihre Identität und Existenz verleugnet werden, sondern in dem die Idee, Kurdisch zu sein, als Fluch und Bürde dargestellt wird, was leicht zu Selbstverleugnung und kulturellem Zerfall führt.

Unter solchen Umständen werden Aufstand und Rebellion gegen die Besatzung zu der natürlichen Konsequenz und Ausdruck von Menschenwürde. Historischer Widerstand war in diesem Zusammenhang keine Wahl, sondern eine existenzielle Notwendigkeit. Wenn eine Besatzungsmacht ein Volk nicht einmal als Menschen anerkennt und es der totalen Entmenschlichung aussetzt, bleibt keine andere Alternative als der Aufstand – ein erster Schritt, der das Potenzial hat, sich zu einer Revolution weiter zu entwickeln. Dies war mehr oder weniger in allen Teilen Kurdistans der Fall, insbesondere nach der Teilung durch den Vertrag von Lausanne. Für eine Gesellschaft in einem solchen Zustand bedeutete das, was als „Frieden“ bezeichnet wurde, oft Schweigen und Unterwerfung, insbesondere für kurdische Gemeinschaften. Für die Besatzungsmächte war Frieden häufig ein Mittel, um verschiedene Identitäten und Völker zum Schweigen zu bringen, zu assimilieren und kulturellen Völkermord zu begehen.

In jedem Teil Kurdistans bedeutete das staatliche Konzept von Stabilität und Frieden die Unterdrückung der Vielfalt und bot nur eine Assimilation in die ideologische und politische Struktur des Staates. Diese patriarchale, besetzende Denkweise hat die gesamte Gesellschaft durchdrungen. Durch die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und sozialen Unterentwicklung sind vor allem Frauen doppelt der Besatzung unterworfen worden – einmal durch den Staat, einmal durch die männliche Dominanz.

Der Kampf um Identität, Existenz und Freiheit hing sich in der Vergangenheit oft von den an Verhandlungstischen ausgehandelten Rahmen ab. Aus diesem Grund ist die Einsicht weit verbreitet, dass das, was die Kurden durch den bewaffneten Kampf erreicht haben, in den Verhandlungen oft verloren ging. In der Geschichte des bewaffneten Widerstands wurde das politische und das militärische Feld häufig getrennt – ein Ansatz, der in Süd- und Ostkurdistan oft als „Bergphase“ und „Stadtphase“ des Kampfes bezeichnet wird. Aus dieser Perspektive haben Friedensverhandlungen in der Regel einen männlichen Charakter angenommen. Diese Gewohnheiten und konzeptionellen Rahmenbedingungen müssen kritisch hinterfragt und transzendiert werden – ein Thema, auf das ich in der Diskussion über das Denk-, Mentalitäts- und Organisationsmodell der kurdischen Freiheitsbewegung zurückkommen werde.

Das ganze Leben der Frauen wird in der Hölle der Blutsühne geopfert

Es liegt auf der Hand, dass das Streben nach Frieden und demokratischem Zusammenleben eines der grundlegendsten Bedürfnisse sowohl der Menschen als auch der Gesellschaft ist. Selbst wenn es Meinungsverschiedenheiten und Konflikte gibt, sollte das Ziel darin bestehen, ein besseres Modell zu entwickeln – eines, das nicht auf Verleugnung oder Zerstörung beruht. Das Bedürfnis nach Frieden war schon immer in das Gefüge der natürlichen Gesellschaft eingebettet und hat sich insbesondere in der Rolle der Frauen in Stammeskonflikten widergespiegelt. In vielen internen Auseinandersetzungen und Kriegen bedeutete das Ablegen der weißen Kopftücher durch die Frauen das Ende der Kämpfe. In anderen Situationen wurden Frauen jedoch nur als Instrumente angesehen, um das Blutvergießen zu stoppen; Im Namen der Versöhnung wurden sie anstelle von Blut übergeben, und ihr ganzes Leben wurde in der Hölle der Blutsühne geopfert.

Gedankenschritte und Modell einer demokratischen Gesellschaft

Das Aufkommen der kurdischen Freiheitsbewegung vor 52 Jahren als Reaktion auf eine Geschichte, die von Besatzung, Auslöschung der Identität und einem Krieg ums Überleben geprägt war – insbesondere von der historischen Unterwerfung der Frauen –, stellte eine zutiefst revolutionäre Haltung dar. Unter diesen Bedingungen war die Gründung einer revolutionären Partei der einzig gangbare Weg. Einen bewaffneten Kampf gegen Besatzer, die ihre Identität leugnen und systematischen Völkermord begehen, zu beginnen, war für das kurdische Volk keine Wahl, sondern eine Notwendigkeit, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Besatzung des größten Teils Kurdistans Auswirkungen auf die ganze Region hatte.

Was Öcalan als die „Geburt“ der Gesellschaft beschrieb, war die Entstehung einer Bewegung, die den Lauf der Geschichte verändern sollte – intellektuell, ideologisch und philosophisch – und eine Wiederbelebung in allen Lebensbereichen herbeiführen sollte. Von einem Zustand des Selbsterwachens hin zur Selbstorganisation zielte sie darauf ab, die Besatzung in all ihren Formen – die Besatzung des Landes, der Individuen und der Existenz – abzulehnen und das Selbst neu zu definieren.

Entscheidend war, dass diese Neudefinition die Befreiung des Landes und die Befreiung der Frau als untrennbar miteinander verknüpft war. Im Zentrum dieser Philosophie steht das Prinzip, dass die Befreiung der Frau die Grundlage für alle anderen Freiheiten und damit eine Voraussetzung für die Befreiung der Gesellschaft als Ganzes ist. Zu diesem Zweck wird die autonome Organisierung von Frauen als lebendige Kraft für die Veränderung gesehen, an Orten wo Besatzung und Patriarchat ständig reproduziert wurden.

Um dies zu erreichen, bedarf es den Kampf von Frauen gegen die Mentalität der Besatzer und des Patriarchats, der die nationalen, Klassen- und Geschlechterkämpfe miteinander verbindet. Ohne den Erfolg dieses Kampfes und ohne Fortschritte in Richtung einer demokratischen Gesellschaft und Denkweise – hin zu demokratischen Männern und Frauen – läuft jeder Diskurs über Frieden Gefahr, in die gleichen leeren Versprechen zu verfallen, die den Frauen infolge vergangener sozialistischer Revolutionen und nationaler Befreiungsbewegungen gemacht wurden. Auf legalem Wege, teilweisen Reformen und individuellen Errungenschaften wurden oft Anstrengungen unternommen, um die wahre Bedeutung des Friedens zu übertünchen. Aber weder die kurdische Frage noch die tief verwurzelten sozialen Fragen – Themen, die Frauen am stärksten betreffen – können durch solche Teilreformen gelöst werden.

Zweifellos haben 52 Jahre ununterbrochener Kämpfe zu einer Wiederbelebung der Gesellschaft und der Frauen geführt – zu einer Revolution im sozialen, intellektuellen und demokratischen Sinne. Der Kampf hat sich natürlich verändert und sich der Festigung der demokratischen Politik, der Annahme des Friedens und dem Fortschritt in Richtung eines demokratischen Gesellschaftsmodells zugewandt. In einer Gesellschaft und Bewegung, die ihre Lebens- und Denkphilosophie auf die Ebene eines Paradigmas erhoben hat – das Paradigma der demokratischen Moderne, das auf direkter Demokratie, Ökologie und der Freiheit der Frauen beruht –, artikuliert sich der Frieden nun aus einer Position der Stärke heraus. Doch es ist keineswegs eine einfache Phase.

„Der Prozess des Friedens und der demokratischen Gesellschaft“ ist kein Prozess, der uns warten lässt

In einer Welt voller Gewalt und der fortschreitenden Entwicklung immer zerstörerischerer Waffen kann man sich fragen: Wie kann Abdullah Öcalan weiterhin vom Frieden sprechen? Viele richten diese Frage an die Freiheitsbewegung Kurdistans und die kurdischen Frauen und fragen, wohin dieser Prozess führt. Doch die Forderung nach einer „friedlichen und demokratischen Gesellschaft“ ist ein Prozess und kein festes Ziel.

Dieser kann von der Freiheitsbewegung Kurdistans und all ihren Strukturen, der kurdischen Frauenfreiheitsbewegung und ihren Organen, der kurdischen Gesellschaft als Ganzes und den Freunden des kurdischen Volkes – ja, von allen, die an die demokratische Moderne glauben – aktiv gestaltet und verwirklicht werden. Der Aufruf [den Abdullah Öcalan am 27. Februar an die Öffentlichkeit richtete, Anm. d. Ü.] und die aktuelle Phase selbst offenbaren die Hilflosigkeit des Staates angesichts von Öcalans 26-jähriger Isolation und Haft. Diese Isolation zu durchbrechen, ist das Ergebnis eines beispiellosen Widerstands, nicht nur des kurdischen Volkes und der Bewegung, sondern auch von Öcalan selbst und von denen, die sich mit der kurdischen Sache solidarisieren.

Öcalan ist der Schöpfer einer neuen politischen Kultur und einer neuen Kultur des Kampfes

Um den Aufruf zu verstehen, muss man die Bewegung selbst verstehen – die Gründe für das Aufkommen des bewaffneten Kampfes in den verschiedenen Phasen, das Organisationsmodell der Bewegung, ihre Ideologie und ihr Denken und ihre Fähigkeit, sich den Notwendigkeiten des Wandels der Zeit anzupassen. Diejenigen, die mit dem Weg des Kampfes innerhalb der Freiheitsbewegung vertraut sind – insbesondere mit der Art und Weise, wie sie das Problem definiert, Lösungen angeht, sich den Besatzungsstaaten Kurdistans entgegenstellt und sich innerhalb der globalen Bedingungen positioniert –, wird diesen Prozess nicht schwer zu begreifen finden.

Jedes Martyrium hat uns großen Schmerz bereitet, aber…

Als Wegbereiter einer neuen politischen Kultur und eine neuen Form des Kampfes hat Öcalan immer wieder Chancen aus dem Unmöglichen geschaffen, neue Horizonte eröffnet und neue Wege für das kurdische Volk, für andere Völker in der Region und sogar weltweit aufgezeigt. Sowohl im Krieg als auch im Frieden und im breiteren Kampf für eine demokratische Gesellschaft waren für Öcalan zwei Prinzipien immer wesentlich. Erstens: Das Blutvergießen darf nie so weit kommen, dass der Frieden unmöglich wird, denn die Konfliktparteien leben letztlich Seite an Seite und müssen eines Tages gemeinsam über den Frieden sprechen. Zweitens müssen große Verluste verhindert werden, denn der Kampf von mehr als vierzig Jahren hat im Namen der Freiheit einen immensen und kostbaren Preis gefordert. Die wahre Kunst der Führung besteht darin, jeden Märtyrertod – jeden noch so großen Schmerz – in eine größere Kraft des Widerstands, den Verlust in eine Philosophie des neuen Lebens zu verwandeln, das Erbe der Gefallenen aufzugreifen und daran zu arbeiten, ihre Vision eines freien Lebens und einer demokratischen Gesellschaft zu verwirklichen.

Trotz aller internen und externen Angriffe auf die Bewegung entwickelte Öcalan eine resiliente und dauerhafte Kultur des Widerstands. Er leitete die Bewegung dabei, ihre spirituelle, organisatorische und strukturelle Einheit zu bewahren und sie gleichzeitig in die Kämpfe der Ideen, der Geschlechter und der Klasse einzubetten – Kämpfe, die sie weiter vorantreiben. Wenn der Ausdruck passt, „ist der Geist aus der Flasche und wird nicht wiederkommen“. Er schuf eine Organisationsstruktur, die fähig ist, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Doch diese große Organisation bedurfte einer historischen Transformation – einer, die es aus dem Griff des Krieges, vom Parteizentralismus und vom etatistischen, machtzentrierten Modell des Sozialismus aus der Sowjetzeit befreien würde. Ziel war es, eine Struktur zu schaffen, die sich nicht an den Staat, sondern an die Gesellschaft richtet; nicht auf Herrschaft, sondern auf Demokratie abziel; wo die Partei als treibendes Werkzeug des Fortschritts fungiert, nicht als Instrument zur Kontrolle des Volkes. Dieses Denk- und Praxismodell konzentriert sich auf Selbstverteidigung und Selbstverwaltung, und um dies zu erreichen, bedurfte es eines vollständigen Paradigmenwechsels. Diese Bemühungen begannen Mitte der 1990er Jahre. Von dieser Zeit an unternahm Öcalan mehrere Versuche, vom Schlachtfeld auf das Feld demokratischer Lösungen zu wechseln und eine demokratische Politik zu entwickeln. Doch die Lösung der kurdischen Frage – die von Natur aus eine internationale Frage ist – wurde ständig sowohl durch internen Verrat als auch durch externe Machtpolitik gestört.

Diese Bewegung, die sich von der Ebene der Partei und der Armee zu einem konföderalen System entwickelt hat muss jetzt die Phase vollenden, die sie vor mindestens zwanzig Jahren begonnen hat. Diese Phase wurde aus den oben genannten Gründen behindert, wobei der Krieg als einzige Option immer wieder aufgezwungen wurde. Obwohl sich die Bewegung nie nur auf den bewaffneten Kampf beschränkt hat, sondern ihn nur als notwendiges Mittel der Selbstverteidigung ansieht, schafft der Krieg dennoch eine Atmosphäre, die jeden Aspekt des Lebens betrifft und das Potenzial anderer Wege einschränkt, die der Gesellschaft besser dienen könnten. Öcalan hat in seinen Botschaften deutlich gemacht, dass die Errungenschaften des bewaffneten Kampfes einen Punkt erreicht haben, an dem sie nun in den Bereich des demokratischen Denkens und der demokratischen Politik übertragen werden müssen, wo der Geist des Friedens wirklich wohnt.

„Was kann ich für den Frieden und die Förderung einer demokratischen Gesellschaft tun?“

Viele Menschen haben Ansichten zu diesem Prozess, aber die Auseinandersetzung mit der Bewegung erfordert auch, dass sich jeder von uns fragt: Was ist meine Verantwortung? Wenn man Kritik oder Analysen äußert, muss dies auch mit einer Reflexion über die Rolle einhergehen, die man bei der Weiterentwicklung des Prozesses spielen kann. Andernfalls bleiben unsere Gespräche hinter den ethischen Standards zurück, die solche Diskussionen erfordern. Als Teil der Lebens- und Kampfphilosophie der Bewegung hat Öcalan oft betont: „Wenn es ein Problem gibt, frage zuerst dich selbst, dann deine Umgebung und dann deinen Feind.“ Dies ist ein Leitprinzip dafür, wie wir uns dem Frieden und der demokratischen Transformation nähern sollten: Indem wir uns fragen: Was kann ich für den Frieden und die Förderung einer demokratischen Gesellschaft tun?

Manche Menschen konzentrieren sich, ob absichtlich oder nicht, ausschließlich auf bewaffnete Konflikte und ignorieren alle Versuche, von einem Kampffeld in ein anderes überzugehen – insbesondere von Formen, die vom Kalten Krieg und dem Realsozialismus geprägt sind, zu neuen Modellen des Widerstands und der politischen Aktivität.

Ein weiterer Grund für Öcalans Forderung nach einer demokratischen Gesellschaft liegt in seinem langjährigen Versuch aus dem Jahr 1993, den Weg zu einer demokratischen Politik zu ebnen, die allen Schichten der Gesellschaft eine sinnvolle Teilhabe am politischen Leben ermöglicht. Trotz mehrerer einseitiger Waffenstillstände in den Jahren 1993, 1998, 2005, 2009 und 2013 wurden diese Bemühungen wiederholt mit politischem Völkermord und militärischer Aggression beantwortet. Ab 2011 begann die Bewegung, ihre Form und Strategie zu verändern – sie wandelte sich von einer defensiven Kriegshaltung zu einem demokratischen Modell, das auf dem Paradigma der demokratischen Moderne basierte, und erweiterte ihre Arbeit durch die Schaffung von Volksräten, Kommunen, Akademien und Genossenschaften.

Doch jeder Versuch, den demokratischen politischen Raum zu öffnen, stieß auf systematische Störungen. Internationale und regionale Mächte haben darauf oft reagiert, indem sie die Bewegung als „terroristisch“ gebrandmarkt haben. Das zog Verhaftungen und die Schließung und Übernahme von Gemeindeverwaltungen und außerhalb der Türkei politische Angriffen und Militärpakten nach sich. Infolgedessen musste die Bewegung eine Kultur, eine Mentalität und Instrumente der Selbstverteidigung entwickeln, die über den bewaffneten Widerstand hinausgehen.

Der Aufruf für „Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ stellt die falschen Vorwände, mit denen die Freiheitsbewegung Kurdistans als terroristisch bezeichnet wird, direkt in Frage und widerlegt sie. Dieser Prozess bietet sowohl den Völkern als auch den Frauen die Möglichkeit, ihr eigenes demokratisches konföderales System aufzubauen und zu entwickeln – von unten nach oben organisiert, inhaltlich gefüllt und partizipativ in allen Bereichen. Sie ermöglicht auch die kritische Reflexion und Korrektur von Missständen der letzten zwanzig Jahre und neue Bemühungen, das Paradigma der demokratischen Moderne in die Praxis umzusetzen. Das ist der Weg zu einer demokratischen Gesellschaft und einem freien Leben.

Entscheidend ist, dass wir die Mentalität überwinden, die immer Lösungen vom Staat erwartet, anstatt die Menschen selbst für die Schaffung ihrer eigenen demokratischen Modelle verantwortlich zu machen. Es erfordert auch, sich mit der Denkweise auseinanderzusetzen, die die Verbindung der Besatzung – sowohl des Landes als auch der Gesellschaft – mit dem Patriarchat nicht anerkennt und die nicht sieht, dass die Freiheit der Frauen von der Veränderung patriarchaler Mentalitäten abhängt.

Mit der Präsenz der PKK in den Bergen Kurdistans hat sie ihr Ziel erreicht, die Besatzung zu verhindern

Öcalans Botschaft übt Druck sowohl auf die Bewegung als auch auf den türkischen Staat aus, sich über den derzeitigen Gleichgewichtszustand hinaus zu bewegen, der für das kurdische Volk und die Bewegung sowohl gefährlich als auch repetitiv geworden ist. Sie treibt auch den demokratischen Kampf an, seine Reichweite weiter auszudehnen.
Die kurdische Freiheitsbewegung hat noch wichtige Schritte zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft vor sich, aber die internen Gegebenheiten des kurdischen Volkes sowie die regionalen und globalen Umstände bieten eine Chance während der Umstrukturierungsphase des Systems. Diese Phase ermöglicht sowohl das Erkennen und Vermeiden von Gefahren, als auch die Umwandlung von Chancen in Kräfte für politische und demokratische Kämpfe.

Mit der bewaffneten Präsenz der PKK in den Bergen Kurdistans hat sie ihr Ziel erreicht, die Mentalität der Verleugnung und Auflösung zu brechen. Sie hat sich zu einem Kampf um Selbstverteidigung entwickelt, bei dem andere Werkzeuge, Denkweisen und Organisationsstrukturen zum Einsatz kommen. Um die Gesellschaft um das Prinzip der Selbstverteidigung herum zu organisieren, bedarf es weiterer Schritte. Die Bewegung hat bereits den Grundstein für dieses Verständnis, diese Kultur und Praxis innerhalb der Gemeinschaft gelegt.

Heute wird die kurdische Frauenfreiheitsbewegung als ernsthafte und reife Kraft auf der Weltbühne angesehen

Öcalan hat häufig über die Fallen und Spiele gesprochen, die gegen die Völker des Nahen Ostens gespielt werden, sowie über die Verschärfung von Konflikten – Themen, die schon immer im Mittelpunkt der Agenda des Besatzungsstaates und der globalen kolonialistischen Kräfte standen. Diese Kräfte haben ihren Reichtum genutzt, um das multiethnische, multikonfessionelle und vielfältige Potenzial der Region auszubeuten und verschiedene Gruppen gegeneinander aufzuhetzen. Der Prozess des „Friedens und der demokratischen Gesellschaft“ zielt darauf ab, diese seit Jahrzehnten andauernde Situation zu beenden, wobei das beste Beispiel für seinen Erfolg in Rojava zu sehen ist. Er sendet eine Warnung aus: Wenn die Völker keine demokratischen Lösungen entwickeln, die auf Frieden und Koexistenz basieren, riskieren sie, fünfzig Mal Gaza zu sehen.
Im Laufe von mehr als 52 Jahren wurden die Spielchen, Verschwörungen, die Politik und Mentalität des türkischen Staates aufgedeckt. Ausgehend von ihrer NATO-Mitgliedschaft und ihrer Rolle als Vollstrecker der Interessen des internationalen Systems hat die Türkei jede sich bietende Gelegenheit genutzt, um die Freiheitsbewegung Kurdistans zu untergraben. Letztlich ist es ihr aber nicht gelungen, sie zu zerstören. Sie geben zu, mehrere Millionen Dollar für den Krieg ausgegeben zu haben, ohne Erfolg. Stattdessen wird die kurdische Frauenfreiheitsbewegung heute weltweit als ernsthafte und gereifte Kraft angesehen, die revolutionäre, soziale und alternative Bewegungen inspiriert.

In den meisten Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt wurden soziale Fragen dem politischen Prozess geopfert

Der Kampf der kurdischen Frauen, der den Kern der Bewegung bildet, wird seit vielen Jahren gegen Besatzung und Patriarchat geführt. Sie entwickelten ein eigenes Verständnis, Modell, eine Ideologie und Wissenschaft. Ausgehend von der Prämisse, dass die einzige Lösung für den Nahen Osten ein demokratischer Konföderalismus ist und dass die Lösung der Frauenfrage die Frage des Jahrhunderts ist, präsentieren sie ein neues Manifest des Kampfes und Kriterien für ein sozialistisch Leben. Klar ist, dass die Rolle der Frauen in der Friedens- und demokratischen Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist. Während in den meisten Befreiungsbewegungen weltweit soziale Fragen dem politischen Prozess geopfert wurden, hat die Freiheitsbewegung Kurdistans diesen Fehler nicht wiederholt. Stattdessen hat sie ihr System über alle Feldes des Kampfes hinweg entwickelt. Sie hat sowohl die Risiken als auch die Chancen erkannt und ihre Aktivitäten, ihr Bildungssystem und ihre Organisation entsprechend weiterentwickelt.

Öcalan kritisiert die Machtkonzentration an einem Ort und sieht darin eine Gefahr für den demokratischen Prozess. Es ist aber auch wichtig zu verstehen, was nötig ist, um diese Gefahr zu erkennen, zu überwinden und zu beseitigen. Dieser Prozess ist breiter als die Bewegung selbst, und es ist wichtig zu überlegen, wie Kritik geübt und mit Missständen umgegangen wird. Die direkte, radikale und tiefgreifende Beteiligung an diesem Prozess eröffnet Chancen für ein demokratisches System und Zusammenleben. In der aktuellen Situation geht es nicht darum, von Freiheit zu träumen, sondern sie aktiv zu praktizieren.

Im Nahen Osten hat die Gesellschaft trotz intensiver Kriege und Konflikte ihre eigenen Schutzsysteme entwickelt, die mehr Raum für einen demokratischen Konföderalismus geschaffen haben.

Es ist entscheidend, die Diskussionen auf die Frage zu konzentrieren: Welche Art von Frieden wollen wir? Wer profitiert vom Frieden? Wer verliert im Frieden? Es stimmt, dass der Krieg selbst einen männlichen und gewalttätigen Charakter hat, und es ist schwierig, Freiheit, Demokratie und Gleichheit im Kontext des Krieges zu erreichen. Ohne Schutz kann die Gesellschaft jedoch nicht existieren. Aber noch wichtiger ist: mit welchen Methoden und Werkzeugen werden wir in der Friedensphase die Errungenschaften der Phase des bewaffneten Kampfes sichern? Wie können Frauen ihr Gesellschaftsmodell entwickeln, ohne Opfer der politischen Machtverhältnisse zu werden? Was bedeutet es für einen Friedensprozess, von Frauen geführt zu werden? Wie können ideologische und geschlechtsspezifische Kämpfe entwickelt werden?

Dies sind wichtige Fragen, die in der nächsten Phase zentrale Themen sein sollten. Die Erfahrungen von Frauenbewegungen in Nach-Konflikts-Situationen an Orten wie Nordirland, dem Baskenland, Katalonien, Afrika, Indien, Kolumbien, Sri Lanka und vielen anderen Regionen – gegen die Besatzung – und die Rolle der Frauen in diesen sozialen Kämpfen bieten wertvolle Lektionen darüber, wo wir vermeiden sollten, Fehler zu wiederholen, und wo ihre Erfahrungen für uns von Vorteil sein können. Am wichtigsten ist, dass wir aus unseren eigenen Erfahrungen lernen.

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