Brief von Rêber Apo an die Jineolojî Akademie

Abdullah Öcalan

Seit meiner Kindheit habe ich mich bemüht, den Frauen ein bester Freund und Genosse zu sein. Selbst in meiner Beziehung zu meiner Mutter zeigt sich meine Suche nach der freien Frau. Ich habe mein Leben getreu meinen Kindheitsträumen gelebt und den Kampf für die Freiheit der Frauen in den Vordergrund gerückt.

Als ich zum ersten Mal auf die Insel Imralı gebracht wurde, sagte ich: „Meine Arbeit für die Frauen ist ein unvollendetes Projekt.“ Diese Arbeit ist nun vollendet, und es bleibt nur noch, sie zu verwirklichen. Der Kampf für die Freiheit der Frauen hat ein sehr wichtiges Erbe geschaffen. Dieses Erbe wurde bis heute durch tausende Şehîds erkämpft und hat einen wichtigen Wert geschaffen. Es sollte bekannt sein, dass ich immer wollte, dass Frauen leben und am Leben bleiben, und jeder Verlust von ihnen hat mir immer Schmerzen bereitet. Man nannte mich „Sohn der Göttin“. Ich wollte immer ein Sohn sein, der den Frauen würdig ist. Das bestimmte mein grundlegendes Kampfprinzip. Ich habe für Frauen das „Prinzip der Hoffnung” entwickelt. Ich sagte, dass jede Frau frei sein sollte. Auch ich habe mich als Mann nach ethischen und ästhetischen Maßstäben gebildet, die sich an der Freiheit orientieren. Ich sagte, dass das Grundprinzip des Sozialismus die Freiheit der Frau ist. Der Maßstab dafür, ob ein Mann ein Sozialist ist, ist, dass er weiß, wie man richtig mit einer Frau lebt. Das ist das Grundprinzip des Sozialismus. In den sozialistischen Erfahrungen im Laufe der Geschichte hat dieses Prinzip immer gefehlt. Wenn man die Beziehungen aller führenden Persönlichkeiten von Marx bis Stalin, von Mao bis Lenin zu Frauen genau untersucht, wird man diese Wahrheit besser verstehen. Mit der Jineolojî nahm auch mein unvollendetes Projekt Gestalt an. Mit diesem Begriff und diesem Konzept wollte ich, dass das Frauenproblem richtig definiert wird. Wie Buddha sagte: „Ohne den Dolch aus dem Rücken der Gesellschaft zu ziehen, kann man nichts tun.“ Ja, die Gesellschaft hat viele Probleme, aber der Dolch im Rücken ist die Versklavung der Frauen, und ohne diesen Dolch zu ziehen, kann man kein Problem lösen.

Die Jineolojî hat in dieser Hinsicht einen wichtigen Weg zurückgelegt. Es wurde wertvolle Arbeit geleistet. Jetzt muss diese Arbeit mit dem neuen Prozess noch mehr an Bedeutung gewinnen. Die richtige Definition der weiblichen Existenz und die Identität der Frau müssen mit der Methode der Identität (varlığı özdeşlik yöntemi) behandelt werden.

Simone sagt: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Die konstruierte Frauenidentität muss von sexistischen Elementen befreit werden. Frauen müssen sich darauf konzentrieren. Genau wie V. Woolf sagte: Eine Frau sollte einen eigenen Raum haben. Sie sollte über sich selbst nachdenken und sich selbst erschaffen können. Ich sage das in dem Bewusstsein, wie schwer es ist, eine Frau zu sein. Es ist schwierig für eine Frau, sich frei zu konstruieren, wenn sie ständig unter der Vergewaltigungskultur durch Männer lebt. Aber ob Frauen diese brennende Wahrheit ebenso schmerzhaft und wütend empfinden wie ich – das weiß ich nicht. Mit dieser Wut erneuere ich mich jeden Tag gedanklich, finde Lösungen und lebe dafür, dass Frauen frei leben können. So gewinnt das Leben für mich an Bedeutung.

Feministinnen haben gefragt, warum an der Spitze der kurdischen Frauenbewegung ein Mann steht. Sie haben Recht; ich wünschte, Frauen hätten diese Führungsrolle übernommen. Das hätte ich mir auch sehr gewünscht. Leider ist diese Führung – weder außerhalb der kurdischen Bewegung noch im Allgemeinen – bislang nicht entstanden. Ich habe immer wieder Projekte und Theorien dazu entwickelt, wie eine freie Frau sein kann; ich habe die Frauenbefreiungsideologie und die Jineolojî entwickelt und sie zu einer organisierten Kraft gemacht. Ich habe mich dafür eingesetzt, den Mann zu transformieren und gemeinsam mit der Frau die Gesellschaft zu befreien. Ich habe das getan, um ein Sohn zu sein, der den Göttinnen würdig ist. Ich hoffe, dass man mich in dieser Hinsicht richtig versteht.

Ich weiß, dass Frauen die Führung in dem von uns angestrebten Prozess des „Friedens und der Demokratie“ übernehmen werden. Mehr als die Hälfte der bisher erzielten Erfolge verdanken wir ihnen. Ich glaube fest daran, dass sie auch in Zukunft vorangehen werden, und ich sage: Ich werde weiterhin mit euch leben und bei euch sein, so lang ihr mich braucht.

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