Ich bin Sakine Cansız!

Necibe Qeredaxi

Von dem Augenblick an, in dem sich Menschen ihrer Existenz als Wille bewusst geworden sind, stellen sie sich grundlegende Fragen und suchen stets nach den befriedigendsten Antworten, die ihrem Leben sowohl persönlich als auch gesellschaftlich Sinn verleihen. Die Frage «Wer bin ich?» war die Frage, die die meisten Wahrheitssuchenden, Philosoph:innen, Prophet:innen, und Anführer:innen sozialer Bewegungen umgetrieben hat. «Wer bin ich?» ist möglicherweise eine der wichtigsten Fragen im Leben einer/eines jeden von uns, ungeachtet der Hautfarbe, Ethnie, des Geschlechts, der Glaubensrichtung, Sprache, oder Kultur. Diese Frage hat umso mehr Gewicht für Personen und Gruppen, denen ihre Identität, ihr Dasein, ihre Kultur, und Geschichte abgesprochen werden, oder die gar physisch und kulturell von Genozid bedroht sind. Sie katalysiert bei ihnen einen besonderen Drang zu handeln, verglichen mit anderen.

Dies beginnt auf einer persönlichen Ebene, und wird ein Antrieb zur Selbstreflexion, die zu Bewusstsein führt. In diesem Prozess suchen Leute sich bewusst gegenseitig, um eine Gruppe zu bilden, die sich selbst verteidigen kann. Somit arbeiten sie zusammen, um etwas neues aufzubauen und eine andere Art zu Leben zu entwickeln. Im Angesicht der Kräfte, die sie leugnen stehen sie für ihre Existenz ein, sowohl als Individuen, als auch als Gruppe. Ob dieser Prozess der Frage und Antwort gelingt, hängt davon ab, wie sehr Individuen in ihrem historischen Bewusstsein verwurzelt sind – ein Bewusstsein, das mit jeder Veränderung sowohl die Wurzeln der eigenen Identität bewahrt, als auch sich selbst erneuert und somit jeden Tag neu geboren wird.

Dieser Prozess braucht eine Vielzahl von Antrieben: Bewusstsein aus den Tiefen der historischen und gesellschaftlichen Erinnerung, Mut und Durchhaltevermögen trotz Hindernissen, Entschlossenheit bei jedem Schritt bis hin zur Selbstaufopferung, die Kraft gegen alle Hässlichkeiten zu kämpfen, und Treue gegenüber den Versprechen, die sie denen gegeben haben, die sie auf den anfänglichen Schritten gesucht und im Laufe dieser Suche gefunden haben. Ohne diese Einleitung weiter in die Länge zu ziehen, werde ich die Schritte darlegen, die zu einer solchen Geburt führen. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine physische Geburt, sondern um die Geburt einer neuen Identität, jenseits der Identitätslosigkeit und jenseits der Herrschenden, insbesondere Frauen, aufgezwungen wurden. Es geht um Prozesse der Wiedergeburt und der Wiedererschaffung des eigenen Selbst›.

Eine Person, die diesem Prozess vom Stadium der Selbsterkenntnis an bis zu ihrem 56. Lebensjahr eine große Bedeutung beigemessen hat, war Sakine Cansız, auch bekannt als «Sara». Während eines kalten Winters, 20 Jahre nach dem größten Genozids des 20. Jahrhunderts (Dersim Genozid, 1938), wurde sie am 12. Februar 1958 im nordkurdischen Dorf Takhti Khalil in Dersim geboren. Ihre Eltern, Großeltern, und viele ihrer Verwandten waren Überlebende des Dersim Genozids. Während dieser Vernichtungskampagnen des türkischen Staates, war kurdisch und alevitisch sein nicht das einzige Verbrechen – eine Frau in der kurdischen Gesellschaft, gefangen zwischen staatlicher Unterdrückung und feudalen Familienstrukturen, fand sich in einer paradoxen Situation wieder. Einerseits galt sie als das schwächste Glied, als Unterworfene der vielschichtigen Realität der Besatzung. Andererseits besaß sie eine Energie, die sie ständig bereit machte zu rebellieren.

Sakine war die älteste Tochter ihrer Familie und musste viel Verantwortung im Haushalt übernehmen. Ihre Mutter war eine rebellische Frau, ihr Vater ein ruhiger und geduldiger Mann. Dank der alevitischen Einflüsse genossen Frauen Respekt in ihrer Familie. Sakine war maßgeblich durch ihre Großmutter geprägt, die sie im ersten Teil ihres Buches «Mein Ganzes Leben War ein Kampf» folgendermaßen beschreibt:

«Die Eigenschaften meiner Großmutter haben immer mein Interesse hervorgerufen. Ich bewunderte sie und verfolgte jede ihrer Bewegungen. […] Eine weitere Besonderheit von ihr war, dass sie das Feuer in der Küche nie ganz ausgehen ließ. Abends vergrub sie die glühenden Kohlen unter der Asche, um bei Morgengrauen
das Feuer erneut zu entfachen. Es galt als Sünde, Feuer aus anderen Häusern zu holen oder an andere weiterzugeben. Wenn jemand Feuer von uns wollte, ärgerte sie sich und schärfte den Leuten ein, künftig wie sie abends dafür zu sorgen, dass morgens noch Glut vorhanden sei. […] Für sie gehörte es zum Leben dazu, das Feuer zu bewahren, Zuflucht bei Mond und Sonne zu suchen und der Erde verbunden zu sein.»¹

Das Sprichwort, das besagt die Natur sei die erste Lehrerin der Menschheit, passt perfekt zu Sakines Großmutter. Es wäre unmöglich sich nicht von ihrer Liebe und Verbundenheit zur Erde und Gesellschaft anstecken zu lassen. Jeden Tag betete sie, der Sonne zugewandt:

«O Engel der Morgenröte, der Himmel und Erde geschaffen hat:
Bestimme ein gutes Schicksal für uns arme und unschuldige Menschen.
O Mutter Fatima, O Hazrat Ali, Hassan und Hussein, erhebt eure Schwerter!
Seid ein Schild für unsere Jugend, beschützt sie und rettet sie…
Zeigt euren Mut, befreit Kurdistan, und Dersim!
O Khizr, großer Khizr!»

Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um den gleichen «Khizr Zine» den wir aus den Geschichten unserer Großmutter kennen. Sakine besuchte die Grundschule in Khozat, wo sie auch die Mittelschule abschloss. Ihre Schwester erinnert sich an ihren Vater zu dieser Zeit:

«Zu der Zeit war unsere Mutter in Deutschland. Unser Vater ist früh aufgestanden, und hat Feride und Nesibe die Haare gebürstet. Dann hat Sakine uns fertig gemacht und in die Schule geschickt, bevor er selbst das Haus verließ.»

Ursprünglich konnte sie nur Dimil (Zazaki), da dieser Dialekt zuhause gesprochen wurde. In der Schule lernte Sakine Türkisch, denn die kurdische Sprache war durch die türkische Regierung verboten. Ihre Mutter jedoch sagte ihnen immer: «Schämt euch nie dafür, dass ihr kurdisch seid.»

1968, als weltweit Studentenbewegungen und die 68er Revolution ausbrachen und linke Gruppen in der Türkei und Kurdistan wuchsen, begann Sakine sich in der Schulzeit in Bezug auf ihre Sprache zu hinterfragen. Später hörte sie von den Alten die Geschichten vom Dersim Genozid und wurde sich der Unterdrückung des kurdischen Volkes bewusst. Mit dieser Erkenntnis begannen sich in Sakine Tag für Tag Fragen anzuhäufen. Obwohl die Alten aus Angst nur über diese Ereignisse zu flüstern wagten, erstarkten in diesem schrecklichen Schweigen ihre Wissbegierde und ihre Abenteuerlust. Man sagt, die Freiheit beginnt in der Kindheit.³ Von da an bewies ihre Entschlossenheit, dass die Angst der Alten nicht Schweigen, sondern Mut, Neugier statt Resignation in ihr sähte. Anstatt tatenlos zuzusehen, gab sie sich vollkommen den Konflikten und Fragen hin, und suchte nach Antworten.

Ali Haydar Kaytan (Genosse Fuad), der später ein Gründungsmitglied der PKK werden sollte, erinnert sich an Sakines ersten Berührungspunkt mit dem revolutionären Leben:

«Es war 1974, ihr Haus stand im Ortsteil Dag (Berg) von Dersim. Manchmal besuchten wir ein Studierendenheim in der Nähe von Genossin Saras Zuhause. So nahmen die Genoss:innen Einfluss auf Genossin Sara.»

Ihr Bruder Metin Cansız erzählt von diesen Momenten:

«Sakine wurde vor allem von den Linken angezogen. Sie beteiligte sich an ihren Märschen und Demonstrationen. Sie stellte viele Fragen, aber bekannte sich nie zu einer ideologischen Richtung. Als sie die kurdischen Revolutionär:innen kennenlernte, wurde sie sehr aktiv.»

Ihre Cousine, Nurcan Yildirim, die mit diesem Abschnitt ihres Lebens vertraut ist berichtet:

«1974-1975 redete sie über Kurdistan. In dieser Stadt hörte ich diese Frau das erste Mal das Wort ‹Kurdistan› sagen. Sie erzählte mir von ihren studentischen Genoss:innen. Ein Bild von Leyla Qasim war an ihre Wand gemalt. Sie sagte: ‹Sie haben es gemalt und es mir geschenkt.› «

Ihre studentischen Genoss:innen (die erste kurdische, revolutionäre Gruppe) wurden auf ihre freiheitsliebenden Neigungen als Frau aufmerksam und bemerkten ihre Bewunderung für Leyla Qasim.

Im ersten Teil ihrer Memoiren schreibt Sakine Cansız:

«Die Inspiration, mit der sie sich ihrer politischen und revolutionären Arbeit widmeten wies mir einen Weg auf, der mein ganzes Leben veränderte. Ich sah viele Männer, die in meiner Nähe wohnten. Ihre Art zu Leben, ihre Begegnungen, und ihre Einstellung gegenüber ihren Werten prägten mich und ich sah in ihnen die Flamme der Freiheit Dersims.»

Nach dem Militärputsch in der Türkei 1971 verband sie sich mit revolutionären Jugendlichen und schloss sich der revolutionären Bewegung aus Elazığ in Nordkurdistan an. Über ihre Interessen berichtet sie:

«Ich las viele Bücher, die mir Freude und Bildung brachten. Es gab ideologische Diskurse, und diejenigen, die diese Ideologien verteidigten waren keine gewöhnlichen Leute. Sie hatten einflussreiche Persönlichkeiten und schürten Enthusiasmus in ihrer Umgebung. Erst machten sich alle über sie lustig und taten sie als vier oder fünf rebellische, kurdische Nationalist:innen ab. Später änderten sie ihren Namen zu Kurdistan Revolutionäre und wurden Apocu⁴ genannt.»

Ende 1976 beteiligte sie sich am ersten revolutionären Treffen in Dersim.

Sakine befand sich im ständigen Konflikt mit konservativen, unterdrückenden, und traditionellen Einstellungen. Sie war eine Frau, die gegen Bräuche und Traditionen rebellierte. Ihr Aktivismus ärgerte ihre Mutter, sodass sie sich immerzu stritten. Über die Persönlichkeit ihrer Mutter sagte Sakine:

«Während sie mich zu einer rebellischen Persönlichkeit erzog, lehrte sie mich auch zu kämpfen! Dafür bin ich ihr sehr dankbar.»

Da sie allem, was um sie herum geschah, Bedeutung gab, brach sie in ihrer Jugend Beziehungen nicht ab, sondern versuchte sie zu verstehen. Dies war die Eigenschaft, die die Aufmerksamkeit der ersten Gruppe von Revolutionär:innen von Anfang an auf sich zog und den Titel, den später ihre dreibändigen Memoiren bekamen, „Mein ganzes Leben war ein Kampf!“, mehr als rechtfertigte.

Im Winter 1976-1977 fand das erste größere Treffen der Kurdistan Revolutionäre in Dersim statt. Hier hörte sie das erste Mal den Satz, «Kurdistan ist eine Kolonie», von Abdullah Öcalan, dem Anführer der Gruppe. Das Treffen hatte 60 Teilnehmer:innen und wurde in einem Haus abgehalten, das in Dersim «weißer Palast» genannt wurde, da es weiß angestrichen war. Zum ersten Mal durchdrang sie nationale und Klassenkämpfe und begab sich auf einen Weg, von dem sie bekanntlich sagt: «Mein ganzes Leben war ein Kampf!» Sie strebte danach die aktive Teilhabe von Frauen am nationalen Befreiungskampf durchzusetzen. In diesem Sinne war sie die erste Frau in der Bewegung, die Frauen organisierte wo immer sie war. Zu dieser Zeit empfand Sakine Cansız, dass sie nicht länger als gewöhnliche Frau leben konnte, und suchte nach Alternativen, die es ihr ermöglichten sich frei im revolutionären Kampf zu bewegen. Sakine wollte eine Revolutionärin werden und sah die Lösung darin ihr Zuhause zu verlassen, indem sie heiratete. Dieser Schritt war damals ein Vorwand und eine Methode für viele Revolutionärinnen, da es für Frauen nicht leicht war ihr Zuhause zu verlassen. Sakine erklärte ihrer Mutter und ihrer Familie:

«Ich liebe Baki Polat, meinen Cousin. Er hat bereits um mich angehalten, aber ihr habt ihn abgewiesen. Er ist ein Revolutionär und ich werde mit ihm gehen; er wird meine revolutionären Bestrebungen nicht behindern.»

Später heiratete sie Baki und ging nach Izmir. Sakine hatte ihre Heimat verlassen und einen Teil ihres Traums verwirklicht – sie verpflichtete sich nicht dem Leben als Hausfrau, da sie andere Ziele hatte. Sie arbeitete in einer Schokoladenfabrik um ihren Lebensunterhalt zu sichern, während sie die Frauen, insbesondere die migrantischen, osteuropäischen Arbeiterinnen in der Fabrik organisierte.

In Folge von Konflikten mit ihrer Familie, insbesondere ihrer Mutter, begann ihr zweiter Streit mit Baki nach der Heirat. Zum Einen war Baki Teil der Halkın Kurtuluşu («Volksbefreiung»), und verstand, wie seine Organisation, Kurdistan nicht als kolonisiert. Außerdem wollte Baki Polat, dass Sakine sich wie eine traditionelle Hausfrau nur dem Familienleben widmete, was für sie unmöglich war. In der Fabrik in der sie arbeitete organisierte sie die Jugend und die Frauen, was für sie und viele weitere zur Entlassung führte. Die Arbeiter:innen veranstalteten Demonstrationen und Streiks. Sakine wurde verhaftet, weil sie ein Banner mit der Aufschrift «Kurdistan ist eine Kolonie» trug. Sie wurde vor Gericht gebracht, wo sie schrie: «Nieder mit dem Kolonisator!». Sie gab sich nicht damit zufrieden lediglich Parolen für «Brot, Arbeit, Freiheit!» zu skandieren, da sie überzeugt war, dass in einem besetzten Land in dem Identität, Geschichte, und Kultur verwehrt werden Brot und Arbeit keine Bedeutung haben. Sie sah wahren Sozialismus im Ende der Kolonisierung und dem vereinten Kampf der Leute, wofür sie Arbeiter:innen organisierte, ohne zwischen ihnen zu unterscheiden.

Jede, die sich ein wenig mit Sakines Leben beschäftigt hat, weiß, dass sie sich immer wieder schwierigen Aufgaben stellte. Als sie nach Kurdistan zurückkehrte, organisierte sie Frauen in Çewlig (Bingöl), eine der konservativsten Regionen Nordkurdistans. An einem Ort an dem die Leute sich fürchteten überhaupt zu sagen, dass sie kurdisch waren, gründete sie etliche Frauengruppen mit je drei bis fünf Mitgliedern und gab den Frauen den Mut sich zu organisieren. Trotz der gesellschaftlichen Hürden versammelten sich Frauen zu den Parolen der ersten revolutionären Gruppe und fanden sich darin wieder. Sakine nahm großen Einfluss auf sie. Über diese Zeit sagte Sakine:

«Wir sagten Frauen müssen sich am nationalen Befreiungskampf beteiligen, da sie sich so befreien und Schritte in die wahre Freiheit gehen können.»

Ihre ersten Bildungen für Frauen handelten von den Auswirkungen des kapitalistischen Systems auf Frauen. Immer betonte sie: «Frauen werden als Ware gesehen.» Die Frauen fühlten sich mit diesem Begriff erst unwohl, doch mit viel Geduld erklärte sie ihnen was es mit der Kommodifizierung der Frauen auf sich hatte. Sakines Arbeit mit den Frauen in Çewlig, Xarpêt (Elazığ), und anderen Regionen inspirierte die Kurdistan Revolutionäre. Sie organisierte nicht nur die Frauen, sondern Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft. Sie säte Vertrauen, Glauben, und Hoffnung in einer Gesellschaft, die einem versuchten Genozid ausgesetzt war.

In diesen späteren Jahren brachten die Früchte ihrer Arbeit ihren Kampf auf eine neue Ebene. Es begann der Aufbau einer revolutionären Partei, die eine Antwort geben konnte, auf das Bedürfnis nach Freiheit und Unabhängigkeit, und auf den Satz «Kurdistan ist eine Kolonie.»

In der letzten Novemberwoche des Jahres 1978, im Dorf Fis, im Bezirk Lice in Amed (Diyarbakır), wurde der erste Kongress der Bewegung abgehalten. Sakine Cansız (Sara) und Kesire Yildirim (Fatma) waren die ersten Frauen, die sich an der Gründung der PKK beteiligten. Sie waren überglücklich, denn sie leiteten eine historische Phase ein und füllten damit eine große Leere in Kurdistan.

Während Manifest und Parteiprogramm umrissen wurden, bereitete Sakine sich auf den Kampf der Frauen vor. Ihre Gruppe sollte «Frauengruppe» heißen und alle Kaderinnen und Unterstützerinnen miteinbeziehen.⁵ Sie recherchierten zur Frauenbefreiung und arbeiteten an einer Broschüre. Daraufhin reiste Sakine weiter durch Kurdistan um die Situation der Frauen zu analysieren.

Im Manifest stand bezüglich der Frauen folgende Analyse:

«Die Bestimmung der Frauen ist wie die Bestimmung des Kurdischen Volkes. Sie müssen ihre eigene Massenbewegung organisieren. Das Ziel ist es ein demokratisches Kurdistan aufzubauen, und dann den Druck, der von den Stämmen und den Kompradoren ausgeht auszuschalten. Von außen wurde versucht die verschiedenen sozialen Klassen zu beeinflussen, doch die Frauen sind eine Gruppe, die sie nicht beeinflussen können. Frauen sind versklavt, seitdem es die Klassengesellschaft gibt.»

1979, nach dem Kongress, bekam Sakine Cansız die Aufgabe Frauen in Elaziğ (Kharput) zu organisieren und Frauenbildungen vorzubereiten. Der Linie der Organisation folgend, begannen sie das römische Rechtssystem zu studieren und zu Frauen weltweit zu recherchieren. Sie begannen die Grundlagen einer Frauenbewegung zu legen. Einmal versammelten sich 80 Frauen in Dersim, was unter normalen Umständen gar nicht möglich gewesen wäre, insbesondere da Frauen ihre Anliegen in Anwesenheit von Männern nicht besprechen konnten.

Der Staat war sich dieser Entwicklungen bewusst und begann Maßnahmen gegen Revolutionär:innen und linke und sozialistische Gruppen zu ergreifen. Über diese Zeit berichtete Sakine:

«Es ist wunderbar mit dem Hass auf unsere Feinde zu leben und zu kämpfen. Ich habe mir immer gedacht, wenn unsere Existenz sie einschüchtert, werde ich immer wie ein Fluch für sie sein.»

Am 18. Mai 1979 wurden Sakine und viele ihrer Genoss:innen in Folge eines Putsches in Elazığ festgenommen. Im Gefängnis leistete sie weiter Widerstand, sowohl gegen die steigende Tendenz in der Bewegung zu kapitulieren, als auch gegen den Staat. Der Staat wandte verschiedene Foltermethoden an, darunter Hängen, Stromschläge, Isolationshaft in kalten, dunklen Zellen, Entkleidung, Zwangsfütterung von Exkrementen, etc. Ihr Widerstand erstaunte die Strafvollzieher:innen. Sie widersetze sich mit großem Mut ihren Folterern. Im Gefängnis von Diyarbakır, das für schreckliche Folterer wie Esat Oktay bekannt ist, erfreute sich dieser besonders daran Sakine zu foltern, und wollte sie unbedingt unter seinen Qualen einmal schreien hören, doch er blieb erfolglos. Sakine verglich die Bedingungen im Gefängnis mit Nazi-Konzentrationslagern:

«In den Konzentrationslagern war die Menschlichkeit eine stille, geschundene Leiche, nackt und bloßgestellt. Die Hoffnung wurde in ihren leeren Augen ermordet. Die Leichen bewegten sich nur, wenn sie mit dem Tod an der Reihe waren. Wenn jemand fragt, ob ein solcher Ort auf der Erde existiert, müssen wir nicht lange suchen – es gibt Amed (Diyarbakır).»

Als Esat Oktay sie konfrontierte und sagte: «Du musst akzeptieren, was gesagt wird. Viele kamen und gingen. Weißt du wer ich bin?», antwortete Sakine: «Weißt du wer ich bin? Ich bin eine Revolutionärin. Offensichtlich kennst du die Revolutionäre nicht.» Und als er sie angriff spuckte sie ihm ins Gesicht.

Lasst mich dieses Narrativ vom Widerstand der kurdischen politischen Gefangenen Sakine Cansız und den Erfahrungen in türkischen Gefängnissen übersetzen und erläutern:

Dieses Ereignis, dass Sakine in Esat Oktays Gesicht gespuckt hat, wurde eine legendäre Erzählung, die sich sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Gefängnismauern verbreitete. Sakines Haltung brachte ihr Anerkennung als widerständiges Symbol in der Frauenabteilung sowie im gesamten Gefängnis. Der Widerstand, den sie und ihre Genoss:innen während ihres Hungerstreiks im Amed Gefängnis leisteten war wie eine Wiedergeburt für kurdische Frauen und das kurdische Volk. Ihre Furchtlosigkeit und ihr Mut beeindruckte alle weiblichen Gefangenen, die politischen, sowie die unpolitischen. Eines Tages entdeckten sie durch ein Loch in der Wand, dass ein Gefängniswärter sie regelmäßig heimlich beobachtete. Als die Gefangenen Sakine davon berichteten, plante sie einen Überfall und stach dem Wärter eine Stricknadel ins Auge. Er schrie vor Schmerzen, und Sakine wurde für diese Tat weiterer Folter unterzogen.
Gültan Kışanak, der inhaftierte HDP Bürgermeister von Amed, war mit Sakine zusammen in Haft, und beschrieb sie:

«Sie pflegte Beziehungen zu allen Gefangenen. Sie kümmerte sich um die Gefolterten, indem sie ihre von Blutergüssen übersäten Körper massierte um Gerinnsel vorzubeugen, nachdem sie mit Knüppeln und Kabeln geschlagen worden waren.»

Aufgrund ihrer aufständischen Aktionen gegen das Gefängnispersonal wurde Sakine in das Amasya Gefängnis verlegt. Man stellte sie dem Gefängnisdirektor, Şükrü, vor. Ihr Kennenlernen wurde zu einer offenen Verteidigung ihrer politischen Persönlichkeit. Als der Direktor versuchte eine Autorität mit den Worten «Ich bin Şükrü, ich leite dieses Gefängnis schon so lange, dass hier nichts ohne meinen Befehl geschieht.» zu bekundigen versuchte, antwortete Sakine unbeugsam:

«Ich bin Sakine Cansız, eine Gründerin der PKK. Ich bin jetzt hier und ich habe meine eigenen Prinzipien! Alles andere hat für mich keine Geltung.»

Sie unternahm mehrere Fluchtversuche, die jedoch immer durch Informant:innen vereitelt wurden. Aufgrund ihrer Bemühungen auszubrechen wurde sie von ihren Mitgefangenen «Schmetterling» genannt.

Im Angesicht des Putsches vom 12.9.1982, der zum Ziel hatte den Willen der Bevölkerung zu brechen, verblieb ein Schimmer der Hoffnung: Der Widerstand der revolutionären Gefangenen. Die, die sich an diesem Widerstand beteiligten, brachten neues Leben in eine Gesellschaft, die dem Tode geweiht schien. Die Kurdistan Revolutionäre begriffen zwei Dinge: Erstens, dass die Freiheit Kurdistans als nationale Frage zum Teil davon abhing die genozidale und verleugnenden Mentalität des Staatssystem zu verändern, aber noch viel mehr vom Erwachen des kurdischen Volkes an sich. Und zweitens, dass die Verteidigung der Identität und der Werte einer Gesellschaft im Rahmen ihrer Bewegung sich nicht auf Männer beschränkte – die Beteiligung der Frauen in diesem Widerstand wies den Weg für eine bedeutende soziale Transformation.

Sakine Cansız› Widerstand ebnete den Weg für die Befreiung sowohl der Frauen, als auch der Gesellschaft. Hieraus entstand der Slogan: «Ohne die Freiheit der Frau, kann die Gesellschaft nicht frei sein.» Was die kurdische Gesellschaft schwächte war nicht nur die Kolonisierung, sondern auch die soziale Verkommenheit und Rückwärtsgewandtheit, die sie in der kurdischen Identität gestiftet hatte.

Sakine war die erste Frau in der Geschichte der Türkei, die auf diese Weise Widerstand leistete, und eine bespielhafte Heldin wurde. Sakine akzeptierte niemals die Umstände des gewöhnlichen Lebens, wehrte sich ständig, ohne sich zu ergeben. Sie verbrachte einen großen Teil ihrer Jugend in verschiedenen Haftanstalten (Elazığ, Malatya, Bursa, Amed, Çanakkale).

1991 wurde sie entlassen. Nach ihrer Entlassung besuchte sie die Mahsum Korkmaz Akademie in der libanesischen Bekaa-Ebene und nahm an der ideologischen Bildung durch A. Öcalan teil. Sie beteiligte sich dort an der ersten Konferenz politischer Gefangener und leistete Organisierungsarbeit in Palästina, Syrien und Rojava.

Nach diesem Training verlangte Sakine in die Berge Kurdistans gehen zu dürfen. Öcalan, zusammen mit den Genoss:innen der Akademie, gab seine Zustimmung, da sie von Anfang an eine Rolle in der Gründung der PKK gespielt hatte und er fand, dass er diese Entscheidung nicht für sie treffen könne. Als die Mehrheit der Genossinnen in der Akademie ihre Entscheidung unterstützen, sagte Öcalan: «Sara, du hast gewonnen.» Sakine war überglücklich!

«Ich war sehr entschlossen und stur; Wenn ich mir etwas vorgenommen hatte, würde ich es auf alle Fälle erreichen. Alles, was ich wollte ist eins nach dem anderen umgesetzt worden. Ich sah Rêbertî [Abdullah Öcalan, Anm. d. Ü.], ich sah halb Kurdistan, ich sah und spürte die Freiheitsliebe der Menschen. Ich dachte mir, wenn ich in die Berge gehe und mein Traum eine Guerrilla zu werden in Erfüllung geht, wird alles so sein wie ich es mir gewünscht habe.»

Später ging Sakine mit großer Leidenschaft in die Berge Kurdistans, und beteiligte sich an den Tätigkeiten und Operationen der Guerilla. Sie spielte eine tragende Rolle in den Kongressen und Konferenzen der Frauenbefreiungsbewegung Kurdistan und der Freiheitsbewegung Kurdistans allgemein. Sie war auch eine gute Schriftstellerin, weshalb Öcalan ihr dazu riet ihre Lebensgeschichte und ihre Memoiren niederzuschreiben.

Trotz der anspruchsvollen Bedingungen in den Bergen führte sie ein sehr ordentliches und diszipliniertes Leben. Sport war eine ihrer Leidenschaften und alltäglichen Gewohnheiten. Jeden Tag stand sie früh auf und trainierte in der Berglandschaft, selbst bei Schnee, und sammelte frische Bergkräuter. Sie liebte es ihre Memoiren zu schreiben, und trug ihr Notizbuch immer bei sich, um darin bei jeder Gelegenheit zu schreiben.

Wenn Öcalan von Sakines Persönlichkeit sprach, konnte er nie seine Bewunderung verbergen und sagte zu ihr:

«Du bist eine sehr widerstandsfähige Frau. Wir haben dich vielen Schwierigkeiten ausgesetzt, aber das war sicherlich nicht von Bedeutung. Was sollen wir tun? Unser Kampf hat dich zu dieser Stärke gebracht… Du kannst eine gut geformte Persönlichkeit werden. Dein Mut und deine Opfer, hundert Mal mehr als meine, haben dich stark gemacht.»

Als die erste autonome Frauenorganisation der Bewegung, die YJWK («Vereinigung der patriotischen Frauen Kurdistans»), 1987 in Hannover gegründet wurde, war Sakine in Haft. Bei ihrem zweiten Kongress 1989, spielte Sakine eine wichtige Rolle, indem sie einen Brief aus dem Gefängnis schickte, der auf dem Kongress verlesen wurde. Der Hauptgegenstand dieses Kongresses war die Autonomie der Frauen (unabhängige und besondere Praxen der Organisierung) und wie sie entwickelt werden sollte. Aus den Bergen Kurdistans wurden Fotos von 50 Guerillakämpferinnen unter dem Kommando von Genossin Azime an den Kongress geschickt, die für große Begeisterung sorgten und für alle neue Frauenbilder schufen.

Der dritte Kongress der YJWK wurde in Europa im August 1991 unter der Beteiligung von ca. 1500 Delegierten gehalten. Der Kongress beschloss autonome Bildung in kurdischer Sprache zu fördern und bezog eine klare und starke Stellung gegen ethnische Säuberung. Sie entschieden sich auch dazu die Zeitschrift “Jina Serbilind” (Stolze Frau) zu veröffentlichen, welche die erste Frauenzeitschrift wurde.

Nach ihrer Rückkehr in die kurdischen Berge blieb Sakine Cansız 1994 in Botan. Dieses Jahr war von schweren Gefechten geprägt und sie war in der mobilen Einheit, welche die kämpferischste war und die meisten Gefechte austrug. 1995 wurde sich dazu entschieden einen Frauenkongress in den Bergen Kurdistans abzuhalten. Sakine spielte eine tragende Rolle im Vorbereitungskomitee des ersten Kongress der YAJK, («Union der Freiheit der Frauen Kurdistans»). Sie bereiteten Satzung, Programm, und Berichte für die Bewegung in einer historischen Höhle mit dem symbolischen Namen «Frauentempel» in Metina im Dorf Beshiri vor. Dem Kongress wohnten Vertreterinnen aller Regionen, insgesamt 350 weibliche Delegierte, bei. Es war das erste historische Ereignis und der erste Schritt der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung in den Bergen Kurdistans.

Diesem Meilenstein folgte der Aufbau der Frauenguerilla. Es war eine Guerilla, die alle Ungleichheit brechen, die Wand der Angst einreißen, Frauen aus ihren Häusern holen, und sie dem Kampf näherbringen sollte. Über diesen militärischen Aspekt hinaus untergrub die Frauenguerilla fundamental die vorherrschende konservative Mentalität in Kurdistan und zeigte den Männern die Maßstäbe auf, nach denen die Frauen leben wollten. In all diesen Entwicklungen war Sakine eine Vorreiterin für die anderen. Sie hatte ein ausgeprägtes Verständnis dafür, dass Öcalan den tiefgreifendsten Widerspruch der Geschichte thematisiert hatte, und dass demokratische Veränderung ohne diesen radikalen revolutionären Ansatz unmöglich war. Hierzu sagte Sakine:

«Der Aufbau der Frauenguerilla war nicht darauf beschränkt eine bewaffnete Einheit zu sein. Die Entstehung der Freiheitsarmee bedeutete ideologische und politische Entwicklung, Tat, Willen, und die Schöpfung von Ermächtigung und Moral. Sie bedeutete auch die Grundlage für die Einheit mit der Bevölkerung zu schaffen. Es ging darum die zentralen Forderungen der Menschen anzusprechen, sich kollektiv ihren Bedürfnissen entsprechend zu organisieren, eine Organisation aufzubauen, die all dies einschließt.»

Nachdem sie weitreichende praktische Erfahrung in den kurdischen Bergen gesammelt hatte, kehrte Sakine mit einem Reichtum an Erfahrungswissen und theoretischen Grundlagen zur Kaderakademie zurück, wo neue Perspektiven und Analysen benötigt wurden. Zu genau der gleichen Zeit, als die Türkei und internationale Mächte einen Komplott zur Auslieferung Öcalans aus Syrien planten, kündigten Sakine und weitere weibliche Genossinnen in einem Fernsehprogramm bei Media TV mit Abdullah Öcalan das Projekt der Frauenbefreiung an. Dies gilt als einer der grundlegendsten und wichtigsten Meilensteine im Kampf der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung, der sich genau dann ereignete, als die Ideologie der Bewegung zunehmend mit dem Sinnverlust konfrontiert war, der durch die weltweiten neoliberalen Propagandawellen kam.

Dieses Ereignis wurde viele Jahre sowohl in der Theorie als auch in der Praxis als Antwort auf die Frage «Wie soll ich leben?» formuliert und verlangte die historische Erneuerung der Beziehung zwischen Männern und Frauen in Kurdistan und darüber hinaus. In einem Interview mit Öcalan beschrieb der türkische Journalist Mahir Sayın diese Beziehung als «Feuer und Benzin», und bezog sich damit auf die Transformation der traditionellen Beziehung zwischen Sklave und Sklavenhalter, einem dominanten Mann und einer unterwürfigen Frau, hin zu einer freien Beziehung. Der Frauenbefreiungsideologie zufolge fußt diese neue Beziehung auf den Prinzipien: Welatparêzî [Liebe zur und Verteidigung der Heimat, Anm. d. Ü.], Kampf, Organisierung, freier Wille und freies Denken, und Ethik&Ästhetik. Dieser Schritt würde nicht nur das Schicksal der kurdischen Gesellschaft, sondern das der gesamten Region verändern und weltweit resonieren. Dies war der geschichtliche, philosophische, und praktische Dialog zwischen Abdullah Öcalan und Sakine Cansız.

Nach der Ausbildung an der Kaderakademie, kehrte sie 1998 an die Akademie zurück. Dem neuen Dialog und der soziologischen Analyse mit Abdullah Öcalan folgend, verlegte sie ihren Kampf nach Europa, wo sie weiterhin organisatorische Arbeit leistete und die Dimplomatiearbeiten breiter aufstellte. Sie machte wichtige Schritte mit Freunden des kurdischen Volkes sowie im diplomatischen Kampf. 2018, während unseres ersten Jineolojî Camps in Bilbao, Baskenland, entdeckten wir, dass Sakine die erste kurdische Frau war, die Bilbao besuchte, als sie in Europa ankam und die baskischen Frauen traf. Baskische Aktivistinnen und Akademikerinnen bemerkten Sakines starke Persönlichkeit und ihren breiten intellektuellen Horizont.

Immer wenn Sakine ein Haus besuchte, hinterließ sie eine prägende Erinnerung und beeinflusste maßgeblich die Entwicklung der welatparêzen Einstellung. Sie baute genossenschaftliche Beziehungen nicht nur mit kurdischen Familien, sondern ebenfalls mit linken, sozialistischen, und internationalistischen Personen auf und ebnete Wege für Kampf, Widerstand, und Zusammenarbeit. Sie brachte ihnen Kurdistan und die Freiheitsbewegung näher und fand Unterstützung für den Befreiungskampf.

Insbesondere nach dem internationalen Komplott gegen Öcalan und seiner Gefangennahme in Isolationshaft auf İmralı, betrieb Sakine diplomatische Arbeiten von Land zu Land und erläuterte die schwierige Zeit nach dem Komplott in der Bewegung und der Gesellschaft. Schwierigkeiten zeichneten sich vorallem in Bezug auf den Paradigmenwechsel hin zur demokratischen Moderne ab, der gleichzeitig ein strategischer Schritt war und auch viele Risiken barg. Sakine arbeitete Tag und Nacht um die Einheit der Organisation aufrecht zu erhalten, die strategische Rolle der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung zu spielen, historische Konflikte zu lösen, wahre Leitung für die Frauen in der Bewegung zu bieten, und gleichzeitig die Bewegung zu schützen und eine Vorreiterin im sozialen Prozess der kurdischen Revolution zu sein. Hierfür behielt sie zusammen mit anderen führenden Kader:innen eine entscheidende Rolle in allen folgenden Kongressen und Wendepunkten der Bewegung.

Sakine war sich sehr sicher, dass eine entscheidende Phase im kurdischen Befreiungskampf sich anbahnte. Selbstbewusst sprach sie am 27. Oktober 2008 mit Roj TV:

«Es gibt einen fortwährenden Kampf, der voranschreitet. Ein Kampf, der jetzt das Eigen des kurdischen Volkes geworden ist. Er hat den Weg in die Freiheit für uns freigemacht, die Organisierung und Einheit der kurdischen Bevölkerung ermöglicht, und er ist die Grundlage für ihre Selbstbestimmung geworden.»

In einem Interview von 2011, das in der Zeitschrift Nawaya Jin veröffentlicht wurde antwortete Sakine auf eine Frage über die Verantwortungen der Frauen:

«Wir kämpfen, sodass wir nicht die Frauen werden, die nichts weiter tun können als weinen, wir kämpfen, sodass wir nicht die Frauen werden, die schwarz tragen und ihr Leid beklagen, deshalb sind wir in den Bergen… Der Schmerz und die Unterdrückung, den die Gesellschaft und die Frauen in der Geschichte durchlebt haben und fortwährend erfahren handelt von Achtsamkeit, dem Schaffen von Bewusstsein, Denken und Perspektive, und Mitteln zum Kampf. Wir können diese Situation nur durch breite Organisierung überwinden.»

Als in Europa Gespräche darüber geführt wurden eine Frauenstiftung zu gründen und wie sie heißen sollte, wurde vorgeschlagen sie nach Sakine zu benennen, so wie viele Institutionen nach Rosa Luxemburg benannt sind. Zu diesem Zeitpunkt sagte Sakine: «Warum? Wollen sie mich töten?» Sie spürte, dass diejenigen, die sie im Gefängnis oder in den Bergen Kurdistans nicht hatten ausschalten konnten, ihr nach Europa gefolgt waren. Im Herzen Europas, das allseits für «Menschenrechte» und «Demokratie» bekannt ist, gelang es ihnen sich gegen sie zu verschwören.

Am 9. Januar 2013, im kurdischen Informationszentrum, auf der belebtesten Straße von Paris, wurden Sakine Cansız (Sara), Mitglied des Kurdistan Nationalkongress› Fidan Doğan (Rojbin), und Mitglied der Jugendbewegung Leyla Şaylemez (Ronahî) von einem Mitglied des türkischen Geheimdienstes (MIT) ermordet. Der Mörder starb später in einem französischen Gefängnis unter ungeklärten Umständen. Damit wurde der Fall geschlossen.

Die Besatzer versuchten die Stimmen kurdischer Frauen und das kurdische Volk durch die Ermordung von Sakine und den anderen Vorreiterinnen zu ersticken. Ihr Ziel: Den inspirierenden Geist der Bewegung tödlich zu treffen. Sakine jedoch, die gelernt hatte zu siegen, wurde die Stimme und der Geist von Millionen, die im Angesicht des Todes und ihrer Mörder, in Massen auf die Straßen strömten, um ihre Gefühle zu diesem Massaker kundzutun. Sie träumte davon, in einem Blumenregen als Guerillakämpferin in Kurdistan empfangen zu werden. Sie trug den Schmerz, das Leid, und die Tragödie ihres Volkes und verwandelte sie in Hoffnung, Kraft, Bewusstsein, und Organisierung, als sie von Stadt zu Stadt reiste, Berg zu Berg, Land zu Land. Trotzdem verstand sie, dass der Weg zum Frieden ein langwieriger ist. Öcalan zog folgenden Schluss aus diesem Massaker:

«In Wahrheit wollten sie dieses Massaker benutzen um meine Friedensbestrebungen zu verhindern. Das soll heißen, diejenigen im Staat, die das Problem nicht mit demokratischen Mitteln lösen wollen wollten den Prozess stören. Sakines Leben ist ein Beispiel. Die Freiheit der Frauen ist Sakines Kampf. Ich werde Rechenschaft für Sakine fordern.»

Quelle: Tawar Magazine
[1] – S. Cansız, Mein ganzes Leben war ein Kampf I, S. 21.
[2] – Dokumentation «Sara»
[3] – A. Öcalan, Jenseits von Staat, Macht und Gewalt.
[4] Das Wort Apocu ist eine Abkürzung für jene, die der Philosophie Abdullah Öcalans folgen, dem Anführer der ersten Gruppe der Kurdistan Revolutionäre.
[5] Dalal Amed, “Women’s History Lessons in the Kurdistan Freedom Movement”.

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