Pädagogik der Frauenbefreiung – der pädagogische Ansatz der Jineolojî

Zozan Sima

«Ethik und Ästhetik, freiheitliches Zusammenleben, Xwebûn und die Transformation der dominanten Männlichkeit sind die Themen, die in unseren Arbeiten die lebhaftesten Diskussionen auslösen und das größte Interesse hervorrufen. In unseren Seminaren können die intimsten Themen, die ansonsten oft als Sache des Privatlebens abgetan werden, angstfrei diskutiert und hinterfragt werden.»

Bildung ist in ihrer aktuellen und historischen Dimension ein Werk von Frauen und gleichzeitig die grundlegendste Lebensaufgabe der Gesellschaft. Wir sagen dies als Frauen einer Gesellschaft, die zutiefst darunter gelitten hat, dass Staaten und Herrscher uns diese grundlegende Lebensaufgabe genommen haben. Bevor wir unsere pädagogischen Ansätze, Erziehungsmethoden, Lehrpläne und die Gestaltung unserer Akademien im Rahmen der Jineolojî erläutern, müssen wir ein wenig über die gesellschaftliche Realität Kurdistans sprechen. Denn jede Gesellschaft braucht eine Bildung, die es ihren Mitgliedern ermöglicht, sich selbst zu definieren und zu verstehen, ihr Leben zu erhalten, sich zu verteidigen und frei innerhalb ihrer kulturellen und sozialen Realität zu leben. Für die kolonisierten Geschlechter, Völker, Klassen und Gesellschaften ist die Bildung einer der wichtigsten Bereiche des Kampfes um Existenz oder Nichtexistenz. Die Völker, die seit Tausenden von Jahren im fruchtbaren Halbmond oder Mesopotamien leben, und die Kurd*innen, eines dieser Völker, haben ihr eigenes Bildungssystem. Die Kurd*innen gehören zu den arischen Völkern in der Region, die auch als Hurri, Mittani, Meder, Karduka usw. bekannt sind, und haben bis heute immer in derselben Region gelebt. Die Bildung, die schon lange vor der Entstehung des Staates eine gesellschaftliche Aktivität war, hat in der kurdischen Gesellschaft – wie auch in vielen anderen Gesellschaften – eine Rolle bei der Vorbereitung der Einzelnen auf das gesellschaftliche Leben gespielt. Sie entwickelt sich durch Methoden, die es den Menschen ermöglichen, eine Persönlichkeit zu bilden, welche sie zur Teilnahme an der Gesellschaft befähigt.

Spuren davon finden wir in den etymologischen Bedeutungen der kurdischen Wörter perwerde, was Bildung bedeutet, und fêrbûn, hînbun, hebûn, was Lernen bedeutet. Das Wort perwerde stammt von einer Wurzel ab, die mit dem Verleihen von Flügeln, der Vorbereitung auf den Flug und auch mit Liebe verbunden ist. Das Suffix bûn am Ende des Wortes für lernen, drückt das Sein/Werden aus. Diese begriffliche Wurzel zeigt, dass Bildung nicht mit einem Ansatz behandelt wird, der diktiert und formt. Ein pädagogischer Ansatz, der das innere Potenzial des Individuums mobilisiert, ist der pädagogische Ansatz der alten Kultur dieser Länder. Bildung wird als ein Bildungsprozess definiert, der das Individuum befähigt, auf eigenen Füßen zu stehen und zu fliegen.

Im Zoroastrismus, dem ältesten Glaubenssystem der Kurden und Kurdinnen, werden die Kinder mit den navjota genannten Reifezeremonien auf die Gesellschaft vorbereitet und durchlaufen vor diesen Zeremonien eine strenge Erziehung. Die Glaubenssysteme der Yaresan-, Kakai-, zoroastrischen, jesidischen und alevitischen Kurd*innen enthalten heute noch Spuren der Erziehungsmethoden dieser alten Epochen. Jede Familie und jede*r Einzelne hat einen Lehrer, der pîr genannt wird und ihnen religiöses und lebenswichtiges Wissen beibringt. Dieser wird eher als Wegweiser gesehen, nicht als hierarchisch Übergeordneter. Es handelt sich um eine lebenslange Beziehung. Zu bestimmten Zeiten des Jahres durchlaufen Personen in Zeremonien, die cem, sema oder dara çekme genannt werden, einen Prozess der Kritik und Selbstkritik vor der eigenen Gemeinschaft beinhaltet. Dies ist auch eine Möglichkeit, die Verbindung von Wissen und Leben herzustellen. Sie zielt darauf ab, den Menschen eine Lebensphilosophie zu vermitteln. Der philosophische Ansatz dieses Glaubens ist durch die Liebe zur Menschheit, zur Natur und zu den Werten des Gemeinschaftslebens gekennzeichnet.

Aufgrund der Massaker und Anschläge werden die philosophischen Gedanken dieser Gemeinschaften durch Musik und Geschichten weitergeführt, können aber nicht in moderne Bildungseinrichtungen umgewandelt werden. Die Jesid*innen, Qewller, Alevit*innen, Yaresan und Kakai verwenden dafür Gedichte mit philosophischem Inhalt, die mit Musik vorgetragen werden und gulbang oder deyish genannt werden. Vor allem in den Yaresan-Gemeinschaften gibt es Dutzende von Dichter*innen, die diese Gedichte vortragen. Heute sind sie jedoch eher zu Ritualen als zu Bildungsinhalten geworden. Sie entsprechen nun sozialen Bedürfnissen und haben ihre ursprüngliche Funktion und ihren Zweck weitgehend verloren. Bei den Kurden und Kurdinnen, die der hanafitischen und der schafiitischen Lehre folgen, haben die Madrasas (islamische Lehreinrichtungen) diese Funktion erfüllt. Die Madrasas, in denen Kurdisch unterrichtet wurde, leisteten einen großen Beitrag zur Entwicklung der kurdischen Sprache und Literatur. Auch Philosophie, Geschichte und Literatur wurden in diesen Madrasas gelehrt. Eine sehr begrenzte Anzahl von Frauen hatte ebenfalls die Möglichkeit, in diesen Einrichtungen zu studieren. Im Allgemeinen gab es jedoch, abgesehen von der aristokratischen Klasse, keine Frauen, die in Kurdistan zur Schule geschickt wurden. Aufgrund des kolonialen Status Kurdistans wurden die eigenen Bildungserfahrungen und -institutionen verunglimpft und die kurdische Gesellschaft als eine unwissende Gesellschaft dargestellt, die gebildet und zivilisiert werden müsse.

In den letzten zwei Jahrhunderten hat die Bildung für Kurd*innen eine Bedeutung erlangt, die das Gegenteil der etymologischen Bedeutung des Begriffs ist. Die kolonialistische Bildung ist für die Kurd*innen fast zu einem Werkzeug geworden, um «aufzuhören, sie selbst zu sein». In Kurdistan, das in vier Teile geteilt wurde, erhalten die Kinder keinen Unterricht in ihrer Muttersprache, sondern durchlaufen Bildungsprozesse, die ihnen arabischen, persischen und türkischen Nationalismus einimpfen. Seit Jahrzehnten werden kurdische Kinder in Schulen traumatisiert, indem ihre Identität und Muttersprache, die sie zu Hause sprechen, ignoriert werden. In diesen Schulen werden die Kinder durch Türkisierung, Persianisierung oder Arabisierung assimiliert. Sie werden von ihrer eigenen Gesellschaft entfremdet, vergessen ihre Sprache und sind zum Verlust ihrer Identität verurteilt. Da Frauen aufgrund der patriarchalen, feudalen Traditionen weder studieren noch arbeiten dürfen, wird ihnen das Recht auf Bildung vorenthalten. Diese Situation hat zu ihrer Unterdrückung innerhalb der Familie und der Gesellschaft beigetragen. Sie hat jedoch auch verhindert, dass sie in kolonialen Institutionen assimiliert wurden, was auch dazu führte, dass kurdische Frauen zu Beschützerinnen ihrer Muttersprache und der kurdischen Kultur wurden. Ohne den Kolonialismus in Frage zu stellen, arbeiteten liberale Frauenbewegungen mit dem Staat zusammen, um durch verschiedene Kampagnen sicherzustellen, dass kurdische Frauen lesen lernten. Kurdische Kinder, insbesondere Mädchen, wurden in einigen Regionen gewaltsam von ihren Familien getrennt und assimiliert, indem sie in regionalen Internaten in verschiedenen Städten unterrichtet wurden.

Trotzdem erkannten die jungen Menschen, die studieren konnten, unter dem Einfluss der weltweiten revolutionären Bewegungen den Kolonialismus und den Kapitalismus. Sie erkannten, dass auch Kurdistan eine Kolonie war. Unter dem Einfluss der Jugendbewegung von 1968 machten die PKK und ihr Vorsitzender Abdullah Öcalan, der aus den Reihen der Universitätsstudierenden hervorging, die Bildung zur grundlegenden revolutionären Arbeit. Die Aktivitäten, die mit dem Lesen und Diskutieren von Büchern in den Häusern der Studierendenkommunen begannen und diese Diskussionen in schriftliche Arbeiten umwandelten, haben das Model der Akademien hervorgebracht. Dieses bestimmt heute den Bildungsansatz der Freiheitsbewegung Kurdistans sowie der Jineolojî.

Angefangen mit der militärischen, politischen und philosophischen Ausbildung in den Lagern der Palästinensischen Befreiungsorganisation und dann jahrzehntelang in der Akademie in Damaskus, haben diese Aktivitäten einen einzigartigen pädagogischen Ansatz und ein einzigartiges Akademienmodell hervorgebracht. Tausende von Menschen wurden in diesen Akademien ausgebildet. In allen Bereichen – von Guerilla-Camps, Studierenden- und Arbeiter*innenkommunen, Stadtvierteln und Dörfern bis hin zu akademischen Bereichen – wurde der pädagogische Ansatz, der sich aus dieser Erfahrung ergab, als Grundlage verwendet. In allen Gebieten, in denen die Freiheitsbewegung Kurdistans aktiv war, wurden Akademien gegründet. Diese Akademien leisten bis heute ununterbroche Bildungsarbeit.

Das Organisationsmodell der Freiheitsbewegung Kurdistans ist seit 2004 der demokratische Konförderalismus. Dieses System basiert auf Gemeinden, Versammlungen, Akademien und Kooperativen. In dieser Hinsicht haben Kultur und Kunst, Selbstverteidigung, Frauen, Jugend, Wirtschaft, Politik und jeder denkbare Bereich seine eigene Akademie. Seit der Revolution in Rojava, die 2012 begann, leisten Dutzende von Akademien in Nord- und Ostsyrien kontinuierlich Bildungsarbeit. In diesen Akademien werden institutionalisierte Akademieaktivitäten in allen Bereichen durchgeführt, von Politik bis Selbstverteidigung, von Frauenbefreiung bis Wirtschaft, von Kultur und Kunst bis Pressearbeit.

Frauen haben darin ein spezielles Bildungssystem entwickelt. In Seminaren, die als autonome Bildung bezeichnet werden, bilden sich Frauen selbst und gegenseitig weiter. Diese Bildungen spielen eine sehr wichtige Rolle, um gegen die soziologisch-psychologischen Auswirkungen der sexistischen Gesellschaft und der patriarchalen Traditionen auf Frauen vorzugehen. Sie befähigen Frauen, ihre eigenen Räume mit ihrer eigenen Kraft aufzubauen und zu verwalten. Die autonomen Bildungen wirken ermächtigend durch das Entwickeln der eigenen freien Denkkraft, dem Gewinnen von Selbstvertrauen, dem unbeschwerten Austausch untereinander, der Analyse von Lebenserfahrungen und dem Aufbau von genossinnenschaftlichen, freundinnenschaftlichen Beziehungen zwischen Frauen. Autonome Bildungen werden auch für Männer organisiert, doch werden diese Bildungen von Frauen geleitet. Seit Jahren werden Kurse zu Geschlecht, die Geschichte der Frauenbefreiung und Jineolojî ausschließlich von Frauen abgehalten. Die Arbeit, die Lebenserfahrungen der Männer zu analysieren und Perspektiven aufzuzeigen, wird ebenfalls von Kurskommissionen übernommen, die aus Frauen bestehen. Diese Vorlesungen basieren auf der 1996 von Abdullah Öcalan formulierten Theorie «die dominante Männlichkeit töten» und dem Projekt der Frauenbefreiungsbewegung Kurdistans, Männer zu transformieren. Die Ziele dieser Kurse sind die Demokratisierung der Familie, die Abschaffung sexistischer Worte und Verhaltensweisen und die Entwicklung philosophischer, wissenschaftlicher, egalitärer und freiheitlicher Beziehungen zwischen Männern und Frauen.

Der alternative pädagogische Ansatz der Jineolojî basiert in erster Linie auf der fast 50-jährigen Erfahrung der Freiheitsbewegung Kurdistans. Angereichert ist er mit den Erfahrungen weiterer Frauenbefreiungsbewegungen und pädagogischen Ansätzen, die auf Analysen des Kolonialismus basieren. Damit wandelt er sich allmählich zu einer frauenbefreienden pädagogischen Theorie und Praxis in allen Bereichen. Die Ähnlichkeiten zwischen Frauen und kolonisierten Völkern und Gemeinschaften machen diesen pädagogischen Ansatz notwendig. Seit etwa 8 Jahren werden im Rahmen der Jineolojî weltweit Bildungscamps, Diskussionsworkshops, Akademierunden, Seminare und weitere Bildungsaktivitäten durchgeführt. Es werden auch Ausbildungen nur für Frauen oder nur für Männer organisiert. Die Themen und Methoden werden je nach den Bedürfnissen und der Zusammensetzung der Teilnehmenden ausgewählt. Nach jeder Bildung werden Meinungen zu Inhalt und Methode eingeholt, die mit der Jineolojî-Akademie geteilt werden. Es werden Bildungsinhalte entwickelt, die den Bedürfnissen der soziologischen Realität (der jeweiligen Gruppe) entsprechen. Wenn wir an dieser Stelle versuchen, uns konkreter auszudrücken, können wir einige der Probleme, die unser pädagogischer Ansatz lösen will, wie folgt formulieren:

1- Das Ziel der Bildungen ist es, die Einzelnen und die Gemeinschaft zu befähigen, sie selbst zu werden (Xwebûn). Das Konzept von Xwebûn setzt eine Verbindung zwischen Existenz und Bewusstsein voraus. Während die Geographie, in der wir leben, die kulturell-soziale Realität, in der wir geprägt sind, die eine Seite unserer Existenz ist, ist die andere Seite die Zerstörung, Assimilation und Vernichtung durch die Ideologien der Herrschaft. In dieser Hinsicht ist das Erlernen unserer soziologischen historischen Realität für unseren pädagogischen Ansatz von wesentlicher Bedeutung. Wenn wir etwas über die kurdische soziale Realität lernen, haben wir die Möglichkeit, das Wissen über unsere soziale Realität zu erneuern sowie die dominanten kolonialistischen Spuren in unseren Persönlichkeiten zu verändern. Das Gleiche gilt in noch stärkerem Maße für Frauen. Wir entdecken die Lebensgestaltung der Frauen, ihre historische Weisheit, ihre ökologische Sensibilität und ihren Widerstand sowie die Ausbeutung der Frauen durch die sexistische Machtideologie, das patriarchale System und den Kapitalismus. Indem wir eine solche Verbindung zwischen Existenz und Bewusstsein herstellen, erfüllen unsere Bildungen das Prinzip «Erkenne dich selbst» der alten Weisen.

2- In den Bildungen stellen wir die Verbindung zwischen Wissen und Leben mit der Methode her, die wir «Analysieren» (türkisch: çözümleme) nennen. Im Rahmen eines Themas, mit dem sich die Person aktuell beschäftigt, wird gemeinsam hinterfragt, wie sie dieses Wissen in ihrem Leben anwendet oder warum sie es nicht anwendet. Bei der Diskussion über das Thema Geschlecht wird der*die Einzelne beispielsweise aufgefordert, Beispiele aus der eigenen Kindheit oder dem derzeitigen Leben zu nennen, um Analysen zu erstellen, die dann von der Bildungsgruppe in Fragen und Perspektiven für die Person umgewandelt werden. Im pädagogischen Umfeld kann auch das Verhalten Gegenstand dieser Analysen sein. In einer Stunde zum Thema Geschlecht hinterfragt ein Mann die Gründe für seine Abwertung von Frauen und seine Gewaltanwendung. Eine Frau legt die Gründe offen, warum sie sich für unzulänglich hält und von Männern erwartet, dass sie sie beschützen. Dies trägt auch zur Sozialisierung, zum Einfühlungsvermögen, zum gegenseitigen Kennenlernen und zur Veränderung bei. In jeder Akademie werden auch Sport, künstlerische Aktivitäten, Alphabetisierung oder verschiedene technische Ausbildungen angeboten.

3- Der Ort der Bildung, die Anleitenden und Vortragenden und die Zusammensetzung der Bildung werden je nach Bedarf und Möglichkeiten festgelegt. Die Perspektive für alle Bildungsaktivitäten ist die Akademie. Denn die Akademie ist eine flexiblere Form der Bildung bezüglich der Dauer, Zusammensetzung und des Raumes. Eine Akademie entsteht manchmal unter einem Baum, im Garten eines Hauses, manchmal auf einem Universitätscampus, in einem Flüchtlingszelt, unter einem Felsen in den Bergen oder in der Lagerhalle eines Gebäudes. Der Schulungsraum wird oft in kollektiver Weise vorbereitet. Es gibt keine Köch*innen, Reinigungskräfte, Manager*innen, Sekretärinnen oder Sicherheitskräfte. Einzeln oder in Gruppen wechseln sich die Teilnehmenden täglich mit der Erfüllung dieser Aufgaben ab. Der Erfolg oder Misserfolg bei der Erfüllung dieser Aufgaben wird auch im Rahmen der Bildung bewertet. Ist die Person unverantwortlich? Ist sie willkürlich? Ist er/sie egoistisch? Ist er/sie verletzend? Ist er/sie wiederherstellend? Ist er/sie kreativ? Ist er/sie demokratisch? Die Ergebnisse, die bei der Durchführung dieser wichtigen Aufgaben herauskommen, zeigen meist mehr Realität als Selbsteinschätzungen in der Bildung. Ausbildende können sowohl innerhalb als auch außerhalb des Bildungssystems tätig sein. Im Falle einer Außenstehenden unterrichten jedoch zwei Personen aus der Akademie zusammen mit dieser Ausbildenden. Eine ausgewogene Zusammensetzung wird gegenüber bestimmten Kategorien in der Zusammensetzung der Teilnehmenden bevorzugt. Dieses Gleichgewicht beruht auf einer ausgeglichenen Zusammensetzung in Bezug auf Alter, Geschlecht, Bildung und Vorbildung. Auf diese Weise wird ein Prototyp der allgemeinen sozialen Realität sichtbar und die Widersprüche zwischen Generationen, Geschlechtern und Klassen machen die Bildung effektiver. Im pädagogischen Umfeld geht es nicht darum, Konflikte zwischen verschiedenen sozialen Realitäten zu verhindern, sondern darum, die Kraft zur Lösung dieser sozialen Konflikte zu entfalten.

4- Die Organisation des Lebens während der Bildung zielt auf die Entwicklung des Gemeinschaftslebens ab. Es wird versucht, den Menschen die Möglichkeit zu geben, nicht nur mit denen zusammenzukommen, die sie mögen, lieben und mit denen sie mehr gemeinsam haben, sondern mit allen. Aus diesem Grund wird die Zusammensetzung der Menschen, die sich Räume teilen, in bestimmten Abständen geändert. Keine*r darf die Umgebung dominieren oder zur Seite gedrängt werden. Die Teilnehmenden lernen, wie sie in soziale Beziehungen treten können, ohne ihre Identität in diesen zu verlieren. Sie gewinnen die Fähigkeit, einander zu vertrauen, mit jedem zu sprechen, Konflikte auszuhandeln und zuzuhören. Mit dem «Versammlungs- und Besprechungssystem», das die Auswertung der eintägigen oder mehrtägigen Ausbildungsaktivitäten und der sozialen Beziehungen ermöglicht, werden die Fortschritte in der Bildung, im Leben, in den Pflichten und Verantwortlichkeiten ausgewertet. Durch gegenseitige Kritik und Selbstkritik bei diesen Evaluierungssitzungen werden Probleme und positive Entwicklungen im System der Bildung, im Lehrplan, bei den Ausbildenden und den Teilnehmenden bewertet und Probleme rechtzeitig und angemessen gelöst. Auf demokratische Art und Weise werden Pläne durch den gemeinsamen Willen bestimmt und gemeinsam umgesetzt.

5- Der Lehrplan wird je nach Bedarf festgelegt und nach jeder Schulung überarbeitet. Neben Kursen wie Weltgeschichte, Wissenschaft, Philosophie, Geschichte der Religionen, Geschichte der Frauenbefreiung und Soziologie werden je nach Bedarf auch Kurse wie Anatomie, Gesundheit und Erste Hilfe angeboten. Außerdem werden Sprache und Stil gelehrt, um sich besser ausdrücken zu können und die sozialen Beziehungen zu stärken. Da sowohl die kurdische als auch die nahöstliche Gesellschaft und die Frauen ständig Krieg und Angriffen ausgesetzt sind, wird das Thema Selbstverteidigung sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene in den Lehrplan aufgenommen. Am Ende jeder Unterrichtsstunde fragt die Ausbilderin die Kommission, wie die Stunde verlaufen ist, und die Kommission wird einer Bewertung unterzogen. Es werden Kritik und Vorschläge geäußert und die Stärken und Schwächen des Kurses werden bewertet. An diesem Punkt ist ein System in Kraft, in dem die Lehrenden auch Lernende sind.

6- Die Audioaufnahmen der Lektionen werden aufbewahrt und einige von ihnen werden in Büchern veröffentlicht. Eigene Lehrbücher und Materialien werden auf der Grundlage dieser Aufnahmen erstellt. Obwohl die kurdische Sprache die Hauptsprache im Unterricht ist, äußern sich diejenigen, die kein Kurdisch sprechen, in den Sprachen, die sie kennen, und diese Beiträge werden übersetzt. Wenn eine Gruppe überwiegend eine andere Sprache spricht, wird der Unterricht in dieser Sprache abgehalten.

Neben diesen Grundsätzen, die unser Akademie- und Bildungsmodell in allgemeiner Form ausdrücken, wollen wir den Einzelnen helfen, sich selbst zu erkennen und auszudrücken und die Hindernisse, die der eigenen Entwicklung im Wege stehen, auf vielfältige Weise zu bekämpfen. Zum Beispiel entwickeln wir aufgrund des Stils der nationalstaatlichen Schulen, die nur auf Auswendiglernen basieren, ohne die Informationen zu verstehen, Methoden, die diesen Auswendiglern-Ansatz in unserem Unterricht überwinden und die Interpretationsfähigkeit der Personen entwickeln. Wir wollen, dass die Teilnehmenden ein schriftliches, visuelles oder hörbares Material, eine Geschichte mit der eigenen Interpretation umgestalten. Manchmal machen wir Übungen, um ein Thema in Form von Schrift, Theater oder Poesie auszudrücken. Wir bitten die Teilnehmenden, Gruppen zu bilden und Präsentationen zu erstellen, und bitten dann die Gruppen, sich gegenseitig Rückmeldung zu geben. Wir versuchen die Art und Weise aufzuzeigen, wie alle ihre eigenen Erfahrungen ausdrücken können. Wir achten darauf, dass die Sprache, die wir in unserem Unterricht verwenden, einfach und verständlich ist und mit der Geschichte und Kultur der Gesellschaft, die wir ansprechen, vereinbar ist. Auf diese Weise können sie eine stärkere Verbindung zwischen Bildung und akademischen Studien und ihrem eigenen Leben herstellen.

Die Erwartungen an feministische Bildung sind recht hoch. Die Menschen erwarten, neue Informationen zu erhalten, eine andere Perspektive zu bekommen und Lösungen für die ernsten sozialen Probleme zu finden, mit denen sie konfrontiert sind. Ethik und Ästhetik, freiheitliches Zusammenleben («Hevjiyana Azad»), Xwebûn («Selbst-Sein/Selbst-Werden») und die Transformation der dominanten Männlichkeit («Kuştina Zilam») sind die Themen, die die lebhaftesten Diskussionen und das größte Interesse hervorrufen. In diesen Kursen können die intimsten Themen, die oft als Privatleben bezeichnet werden, angstfrei diskutiert und hinterfragt werden. Vor allem Frauen vertiefen ihr Verständnis und ihre Selbsterkenntnis. Auch Männer sind sehr an Jineolojî-Kursen interessiert, aber sie sehen das Problem der Freiheit der Männer und ihre Schwächen in diesem Kampf. Manchmal haben die Männer die Einstellung, dass «wir uns von den Frauen befreien lassen», während andere die falsche Vorstellung haben, dass «ich nicht so sexistisch bin wie andere Männer». Während Frauen offener diskutieren, erleben wir, dass Männer schüchterner sind und in Gegenwart anderer Männer nicht über ihre Unzulänglichkeiten und Fehler sprechen wollen. Auch wenn die Vorträge etwas bewirken, ist es eine Tatsache, dass sie aufrechterhalten und mit Leben gefüllt werden müssen.

Die Schaffung einer Kultur, die es jeder und jedem ermöglicht, sich selbst, die Familie und die Menschen, mit denen er/sie lebt und arbeitet, zu bilden, ist ein weiteres wichtiges Thema unserer Bildungsarbeit. Wir betrachten Bildung als einen nie endenden Prozess, der sich auf alle Bereiche des Lebens erstreckt und über eine Tätigkeit hinausgeht, deren Dauer und Form festgelegt ist.

Daher führen die Jineolojî-Ausbildungen zur Bildung einer neuen Perspektive in jedem Bereich, den sie erreichen. Diese Ausbildungen zielen darauf ab, die grundlegenden Probleme zu lösen, die das Leben der Menschen und die revolutionären Kämpfe betreffen. Wir erneuern ständig unsere Methoden und Lehrpläne und gestalten sie entsprechend den Bedürfnissen. Wir versuchen gemeinsam das Wissen zu lehren und zu lernen, das dafür sorgt, dass «jeder Baum aus seinen eigenen Wurzeln wächst», wie ein altes Sprichwort der Kurd*innen lautet.

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