Der Aufstand der ältesten Kolonie: Feminismus

Die feministische Bewegung muss unbedingt die radikalste Bewegung gegen das System sein. Nicht nur die Moderne, sondern die gesamte Zivilisation sowie ihre hierarchischen Perioden müssen im Kontext der geistigen und körperlichen Versklavung der Frau analysiert werden. Die Freiheit der Frau, Gleichheit und Demokratie erfordern umfassende theoretische Arbeiten, ideologische Kämpfe, programmatische und organisatorische Aktivitäten und vor allem starke Handlungen. Ohne diese werden der Feminismus und die Arbeit der Frauen kaum von den Aktivitäten liberaler Frauen, die das System reformieren wollen, zu unterscheiden sein.“

Für uns sind die oben genannten Punkte und Kritiken von Abdullah Öcalan, dem Vorsitzenden des kurdischen Volkes, für alle Frauen relevant, die für die Freiheit der Frau kämpfen. Da das herrschende System die voranschreitenden Frauenbewegungen für gefährlich hält, zielen die Fallen des Systems darauf ab Frauen am stärksten anzugreifen. Diese Fallen werden nicht einfach durch eine theoretische Analyse und Kritik am System überwunden, sondern nur dadurch, dass Frauen es schaffen einen umfassenden Kampf zu entwickeln. Wenn diese Fallen nicht überwunden werden, können die Frauenbefreiung, die Freiheit und sogar die Garantie auf Leben nicht realisiert werden.

Der Feminismus ist ein bedeutender Kreislauf des Widerstandes in der jüngsten Geschichte. Nach der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann der Feminismus den männlichen Diskurs in den Sozialwissenschaften anzugreifen und zu kritisieren. Auf der Basis der Subjekt-Objekt Dichotomie wurden Frauen in die Position eines Objekts gebracht. Und es ist wichtig hervorzuheben, dass dies die Quelle für alle möglichen Formen der Ausgrenzung der Frau ist. Der Feminismus ist die wichtigste Quelle der Jineolojî, da er eine immense Erfahrung und einen großen Wert im Kampf um soziale Befreiung hat. Selbstverständlich widmet sich die Jineolojî zuerst der Erforschung, der Analyse und der Bewertung des Feindes der Frau, also der patriarchalen Klassengesellschaft und der kapitalistischen Moderne. Unsere Kritik am Feminismus und an den bestehenden Frauenbewegungen kommt aus einer Perspektive, in der es diese Probleme ebenso gibt und wo wir sie auch versuchen zu lösen. Wir glauben, dass Frauen sich entwickeln können, wenn sie sich selbst kritisieren und reflektieren. Wenn wir also den Feminismus kritisieren, dann tun wir das mit dem Ziel, dass es eine fortschrittliche Erneuerung und eine Dynamik gibt. Wir glauben, dass es einen dringenden Bedarf für solche Diskussionen gibt. Unsere Kritik am Feminismus formulieren wir mit dem Bewusstsein, dass die Umstände der Entstehung des Feminismus sehr schwer waren und dass es große Kämpfe, viel Arbeit und Schmerz von Frauen gegeben hat. Darauf gehen wir weiter unten ein.

Zerstückelte Erkenntnistheorie

Warum haben wir so viele feministische Erkenntnistheorien produziert, obwohl der Positivismus, die kapitalistische Moderne, der Liberalismus und die sexistischen Wissenschaften uns ohnehin schon genug gespalten haben? Natürlich ist uns klar, dass jede einzelne feministische Erkenntnistheorie die Probleme unterschiedlicher Bereiche betrachtet. Wir wissen jedoch auch, dass diese Eigenschaft nicht gereicht hat, um Erfolge gegen das Patriarchat zu erzielen. Aus diesem Grund müssen wir die Methoden der Fragmentierung kritisch betrachten und uns gleichzeitig versuchen selbst zu organisieren.

Als wir anfingen die Jineolojî zu entwickeln, war es für uns wesentlich „über den Feminismus hinauszugehen, den Feminismus zu übertreffen und gleichzeitig zum Feminismus beizutragen“. Unser Ziel war es dabei die zerstückelte Erkenntnistheorie des Feminismus zu überschreiten, weil wir mit dieser nicht einverstanden waren. Es könnte nun argumentiert werden, dass wir mit der Jineolojî auch nur ein weiteres Stück zu den vielen epistemologischen Zerstückelungen hinzufügen. Wir werden auf jeden Fall das Wissen über die Realitäten von Frauen sowie die Entwicklung angemessener Methoden zur Erforschung von Frauen voranbringen. Die Begriffe, die wir dabei verwenden (wie z.B. beitragen, übertreffen, verbessern usw.) nutzen wir nicht in einem konkurrierenden Sinne, wie es uns typischerweise vom männer-dominierten System aufgezwungen wird, sondern auf eine Art und Weise die Frauen dazu bringen soll sich gegenseitig zu verstehen, ihre Erfahrungen zusammenzubringen und über diese hinauszugehen.

Es ist möglich verschiedene Frauenbewegungen und intellektuelle Gedanken hierzu parallel laufen zu lassen und sich gegenseitig zu unterstützen. Was hierbei wichtig ist, ist, dass wir zusammenkommen, unsere gemeinsame Stärke aufbauen und so die intellektuellen und organisatorischen Strukturen der patriarchalen Welt, in der wir leben, bekämpfen können.

Die Auswirkungen des Orientalismus

Die Annahme, dass das grundsätzliche Problem der Ethnien und vor allem der Frauen des Mittleren Ostens ihre Unfähigkeit zur Modernisierung sei, resultiert aus einem orientalistischen Einfluss, der die moralischen und politischen Dynamiken der Gesellschaften im Mittleren Osten geringschätzt. Der Orientalismus hat es uns erschwert die großen Hürden zu erkennen, die sich uns in den Weg stellen, wenn wir uns auf die Suche nach unserer gesellschaftlichen Geschichte begeben. Die Menschen im Westen, die den Mittleren Osten verstehen wollen, müssen diese Art und Weise hinter sich lassen. Besonders mittelöstliche Intellektuelle, Politiker*innen, Akademiker*innen und Feminist*innen müssen eine durchdachte Haltung einnehmen und die Probleme und Lösungen aus der Perspektive von Frauen verstehen, um die imperialistische Politik, die dem Mittleren Osten auferlegt wurde, zu bekämpfen. Wenn sich der Feminismus den lokalen Kulturen eigenständig, authentisch und mit einem freiheitlichen Ansatz widmet, würde das seine Haltung gegen das System verstärken und helfen die orientalistischen Einflüsse und Kämpfe gegen diese Perspektive zu verstehen. Die Forschung feministischer Akademiker*innen muss die grundsätzlichen Annahmen der Sozialwissenschaften, die vom Orientalismus beeinflusst sind, in Frage stellen. Wenn Feminist*innen aus der westlichen Welt den Osten analysieren, ist es eine Schwäche ihrer Arbeit, wenn sie keine Theorien aus der östlichen Literatur miteinbeziehen. Es ist auch eine Schwäche, dass sich Theorien in der westlichen Welt durch soziale Bedürfnisse neben den Widersprüchen entwickelt haben und dass der Feminismus versucht hat diese Lücken in anderen Regionen zu füllen. Aus diesem Grund sollte die Jineolojî in verschiedenen Regionen der Welt aufgebaut werden, um sich in unterschiedlichen Formen zu entwickeln. Diese unterschiedlichen Formen sollen je nach Gebiet auf verschiedenen regionalen und lokalen Wissensstrukturen und Erfahrungen von Frauen aufbauen.

Ein Blick auf die Organisierung und Gesellschaftswerdung

Trotz des immensen Wissens, das der Feminismus aufgebaut hat, hat dieser noch nicht die Rolle und Verantwortung übernommen, der Gesellschaft die Notwendigkeit und die Dimension eines sozialen Wandels aufzuzeigen. Aus diesem Grund können gegenwärtige Feministinnen aus der Sichtweise der Gesellschaft einerseits und der statischen Machtsysteme andererseits nicht als ‚alternativer Mainstream‘ gesehen werden. Sie werden eher als ’Hoffnungsbewegung‘ gesehen.

Bevor wir die Kritik weiterführen, wollen wir betonen, dass der Feminismus die Entwicklung der Frauenbefreiung aus dem richtigen Blickwinkel initiiert hat. Was war hier der erste Schritt? Der erste Schritt war die Aufdeckung frauenfeindlicher Denkmuster, Methoden und ideologischer Angriffe, die das patriarchale System geschaffen hat. Theoretische Forschungen haben uns dazu eine stabile Basis für den Kampf gegen das System gegeben. Im Vergleich zu diesen Studien war der Feminismus jedoch nicht so erfolgreich darin die organisatorische Leistung voranzubringen. Verschiedene Strömungen (vom radikalen Feminismus, Anarcha-Feminismus, Marxistischen Feminismus bis hin zum Öko-Feminismus usw.) haben sich auf der Basis verschiedener Ausgangspunkte und verschiedener Befreiungsperspektiven gegen das patriarchale System entwickelt. Diese Unterschiede waren nicht nur auf das intellektuelle Feld beschränkt. Sie führten dazu, dass der Kampf gegen das patriarchale System unterschiedlich geführt wurde, obwohl sich das patriarchale System in allen Lebensbereichen organisiert. Das Ergebnis war schließlich ein zerstückelter Kampf.

Heutzutage sind sich weltweit Menschen darüber bewusst, dass politische Regime durch die Staatsmacht und durch Ungerechtigkeiten aufgestiegen sind. Diese Mächte versuchen alles zu kontrollieren und zu bestimmen: das Gesetz, Gerechtigkeit, das Leben und den Tod. Dabei versuchen sie die Menschen über die Realität und die Wahrheit zu täuschen. Es ist also wichtig sich sowohl organisiert gegen das System zu wenden als auch das System als Ganzes zu analysieren. Wenn eine Person die Realitäten der Gesellschaft, in der sie lebt, miterlebt und ihre Stimme nicht dagegen erhebt, sondern nur Informationen darüber verbreitet, was getan werden könnte oder was nicht getan werden sollte, dann kann das nicht als anti-systemische Haltung gesehen werden. Es ist aber charakteristisch für den Feminismus gegen das System zu sein; und für andere anti-System Kräfte ist der Feminismus eine Quelle der Motivation. Feminismus ist anti-militaristisch, anti-herrschaftlich, antisexistisch, antirassistisch und antifaschistisch. Wenn eine Bewegung aus so vielen Anti-Haltungen besteht, wäre es widersprüchlich wenn diese einfach nur theoretisches Wissen produziert und in der Praxis wenig tut. Es ist problematisch, dass der Feminismus daran gescheitert ist sich selbst zu organisieren und starke Allianzen für einen sozialen Wandel aufzubauen. Diese Probleme müssen sorgfältig innerhalb der Bewegungen diskutiert werden und tiefgreifende Lösungen entwickelt werden.

Die Unfähigkeit ein alternatives Lebensmodell zu entwickeln, das die Einschränkungen der Moderne überwindet

Der Feminismus kritisiert die Moderne theoretisch, doch seine Unfähigkeit ein alternatives Lebensmodell auszuführen ist eine seiner Schwächen. Manche Feministinnen entschieden sich dazu sich aus der politischen Arena herauszuhalten, um sich nicht zu ‚beschmutzen‘; dahingegen zeigte die Präsenz der kurdischen Frauenbewegung in der politischen Arena ihre Effektivität in Fragen der sozialen Transformation genau sowie im theoretischen Fortschritt. Das Ko-Vorsitzendensystem hat im politischen Feld wichtige Erfahrungen und Beiträge für die gleichberechtigte Repräsentation ermöglicht. Statt über die Ablehnung der Moderne in einer geschlossenen Gruppe zu reden, hat die kurdische Frauenbewegung ihre Ablehnung durch die Politik in die Gesellschaft getragen. Die überzeugenden Befunde des Feminismus im akademischen Bereich lieferten jedoch darüber hinaus keine starke Perspektive, wie und mit welchen Organisationen und Institutionen praktische Bedürfnisse erfüllt werden können. Der Feminismus lehnte die institutionellen Instrumente des Systems ab und blieb dabei innerhalb der akademischen Grenzen des Systems stecken. Die Jineolojî hat auch das Ziel Akademien zu errichten. Diese Akademien werden jedoch nicht innerhalb des derzeitigen Systems aufgebaut, sondern parallel zu ihm. Sie stehen für ein Bildungssystem, welches Frauen mit ihrer eigenen Stärke und mit ihren eigenen Ressourcen aufbauen. Obwohl der Feminismus einen radikalen intellektuellen Bruch mit dem System geschaffen hat, ist es problematisch, dass er sich institutionell nicht verwirklichen konnte. Die autonome Organisation der Frauenguerilla in den Bergen Kurdistans hat ein Modell für ein kommunales Leben für Frauen erschaffen – nicht nur in den Bergen, sondern auch in der Gesellschaft. Teile des Feminismus behaupteten, dass es keine klaren Gründe für Militanz von Frauen gäbe; deshalb konnte er seine Utopie nicht verwirklichen, weil er die wichtige Verbindung zwischen Freiheit, Organisation und Gesellschaftswerdung ignorierte. Als kurdische Frauenbewegung versuchen wir die Prinzipien von Jin (Frauen), Jiyan (Leben) und Azadî (Freiheit) innerhalb der gesamten Gesellschaft zu verbreiten. Nun gibt es in allen Teilen Kurdistans autonome Frauenbewegungen und Institutionen.

Eines der vielen Beispiele für die Jineolojî ist der Aufbau von ‚JINWAR‘. JINWAR ist ein Frauendorf in Rojava. Es ist eine Utopie, die wahr wird. Eine Verkörperung des von Frauen gegründeten Lebens. Anstatt sich als bewusste Frauen ständig aus der Gesellschaft zu retten ist es wichtig das Bewusstsein der Freiheit in die Gesellschaft hineinzutragen. Aus diesem Grund bedeutet Jineolojî die Verbindungen von Freiheit, Organisierung und Gesellschaftswerdung zu verstärken. Dieser Ansatz dient auch dem Ziel radikale Demokratie und Freiheit in den gesetzlichen Institutionen zu verankern, sowie die Perspektiven und den Willen von Frauen in vorhandenen alternativen Lebensmodellen zu stärken.

Sexualität

In der Natur sind die Existenz und das Fortbestehen aller Lebewesen durch Ernährung, Schutz und Reproduktion gesichert. In der menschlichen Gesellschaft wurde die Reproduktion mit der Sexualität und der nicht wertgeschätzten Arbeit der Frauen verbunden. Gleichzeitig hat die Sexualität in der kapitalistischen Moderne ihren Zweck überschritten. Sexualität ist nun nicht mehr nur Reproduktion zur Weiterführung der Existenz, sondern eine Machtsphäre. Die Sexualität der Frau wird für die Implementierung und Aufrechterhaltung von Macht kontrolliert. Anstatt Sexualität in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zu definieren und sie somit von Machtpositionen loszulösen, wurde sie als ein Gebiet der sogenannten ‚freien Wahl‘ erhalten. Der Feminismus war nicht in der Lage Sexualität ontologisch zu definieren. In der Entwicklung der patriarchalen, materiellen und spirituellen Hegemonie wurde die Frage um die Rolle der Sexualität nicht ausreichend gelöst.

Seit den 1970er Jahren haben der radikale Feminismus und der lesbische Feminismus die Verbindung zwischen Sexualität und Macht analysiert. Diese Bemühungen trugen dazu bei mehr über den Körper der Frau und ihre Sexualität herauszufinden. Pornografie wurde als eine kapitalistische Produktion des Frauenhandels kritisiert. Nach den 1990ern fielen diese wahren Analysen in die Fallen des Kapitalismus. Anstatt eine radikale Haltung gegen das System einzunehmen, integrierte das liberale System Teile der feministischen Bewegungen und ihrer Forderungen. Immer mehr Feministinnen begannen Muster und Praktiken des Systems anzunehmen. Die Sexualität, die ursprünglich in den feministischen Diskursen als ein Problem der Versklavung und der Beherrschung der Gesellschaft gesehen wurde, entwickelte sich zu einem Thema, das als Frage der liberalen Freiheit behandelt wurde. ‚Sexuelle Freiheit‘ wurde als eine individualisierte Angelegenheit behandelt. Aufgrund dessen war es nicht möglich eine Kultur der freien Sexualität zu entwickeln, die frei von Dominanz und Sklaverei war. Daher müssen wir ein tieferes Verständnis von Sexualität, sexueller Identitäten und Beziehungen schaffen. Sollte die physische Trennung von Männern und sexuellen Partnerschaften aus dem Leben der Frauen als ein reaktives Ergebnis oder als freie Wahl verstanden werden? Sind diese Beziehungen wirklich frei von Dominanz und Sklaverei? Werden Muster von Macht und Dominanz auch in lesbischen und schwulen Beziehungen reproduziert? Wie kann freie Sexualität wirklich erlangt werden? Was ist die Rolle der Frauen und wie wird sie bestimmt? Bis jetzt gibt es nur beschränkte Antworten auf diese Fragen.

Die Notwendigkeit der Transformation des Mannes

Der Feminismus war nicht in der Lage die aktuelle sexuelle Politik systematisch zu überwinden und scheint sie nur auf andere Weise zu reproduzieren. Neben sexuellen Beziehungen hat der Feminismus keine Theorien vorgelegt, die praktische Lösungen dafür liefern, wie Muster von weiblichen und männlichen Beziehungen herausgefordert und neugestaltet werden können. Diese sollten sich auch mit der Entwicklung neuer Ansätze von Koexistenz und Beziehungen beschäftigen. Kritische Analysen des Systems und die Bestimmung von Idealen sind hier ein wichtiger Schritt. Wir müssen jedoch auch beachten, dass wir gemeinsam in der Realität der patriarchalen Gesellschaft leben.

Als Antwort darauf hat die Politik des Feminismus hauptsächlich zu separaten Frauenräumen aufgerufen, ohne groß darauf zu achten auch politische Programme und gemeinsame Plattformen für den Geschlechterkampf zu errichten, die auch die Veränderung des Mannes zum Ziel haben. Tatsächlich steht das im Widerspruch zur feministischen Kritik am patriarchalen System und an der patriarchalen Denkweise. Durch diese Herangehensweise schafft es der Feminismus nicht entschlossen durchzusetzen, dass Männer die Notwendigkeit einer Veränderung selbst sehen, den Willen der Frauen anerkennen und das Wissen und die Emotionen von Frauen ehrlich respektieren.

Der Feminismus hat es nicht geschafft das Bild einer rückschrittlichen Bewegung zu überwinden, die hauptsächlich Widerstand leistet und sich weigert. Der Feminismus war keine erfolgreiche Kraft, der eine Alternative für diese krisengeplagte Welt entwickelt hat. Obwohl umfassende Analysen über die dominante patriarchale Denkweise gemacht wurden, waren die Lösungen, die vorgeschlagen wurden, hauptsächlich auf die Aufklärung von Frauen bezogen. Der Feminismus hat weder ausreichende Perspektiven für die Veränderung des Mannes, weder für die Anerkennung der Verbindung zwischen Freiheit und Geschlecht, noch für die Organisation von Männern im Prozess der gesellschaftlichen Emanzipation entwickelt.

Herangehensweise an die Geschichte

Der vorherrschende Ansatz der Geschichtsschreibung hat maßgeblich zur Erschaffung und Aufrechterhaltung des Sexismus geführt. Eine fundamentale feministische Kritik an den modernen Sozialwissenschaften ist, dass die Geschichte vornehmlich aus einer androzentrischen (männerfokussierten) Perspektive geschrieben wurde. Die Geschichte – wie im englischen Wort treffend ausgedrückt -„his-story“, also ‚seine Geschichte‘, hat systematisch ‚ihre Geschichte‘ (her-story) ignoriert. Deshalb verleiht der Feminismus der geschriebenen Geschichte und ihrer androzentrischen Perspektive keine Glaubwürdigkeit. Da die Geschichte der Frauen aber nicht ausreichend aufgedeckt wurde, können wir nicht erwarten, dass sich das androzentrische Denken der Geschichtsschreibung auflöst ohne auch das patriarchale Denken zu ändern. Die Sozialwissenschaften sind hiervon nicht ausgeschlossen. Die längste Zeitperiode in der Geschichte, die der matrizentrischen Gesellschaften, muss erst noch aufgedeckt werden. Die Jineolojî verfolgt nicht nur das Ziel die Frauen in das Schreiben der Geschichte miteinzubeziehen, sondern wirklich ‚Herstory‘ im Sinne der Geschichte der Frau zu schreiben.

Es wäre unfair Frauenwerte historisch lediglich aus dem Blickwinkel des Feminismus zu betrachten und zu bewerten. In bestimmten Regionen dieser Welt, vor allem in der westlichen Welt, haben feministische Bewegungen eine führende Rolle im Widerstand gegen das Patriarchat gespielt. Die Welt hat jedoch viele verschiedene Kulturen und Traditionen. Tausende Jahre lang haben Frauen auf der ganzen Welt ihre Rolle in der Gesellschaft beobachtet und interpretiert. Es gibt archäologische Funde, die nahelegen, dass Frauen an gewissen Orten und in bestimmten Epochen eine führende Rolle in der Gesellschaft gespielt haben. Wir denken, dass es für den Feminismus wichtig ist diese historischen Befunde in Betracht zu ziehen, um als Bewegung weiter zu kommen. In diesem Zusammenhang bemüht sich die Jineolojî auch darum wichtige Beiträge zur ‚Herstory‘, der Geschichte der Frauen, zu machen.

Heutzutage unterscheiden sich die lokalen Erfahrungen von Frauen sehr stark von Land zu Land. Wie fair kann es sein deren Erfahrungen durch die Blickwinkel des postkolonialen Feminismus, des kurdischen Feminismus oder des islamischen Feminismus zu präsentieren? Wie sehr repräsentieren diese zeitgenössischen Bewegungen die Kämpfe der Frauen auf der Welt? Wir denken, dass der Feminismus sich diese Fragen stellen muss, da sich viele Frauen, die bereits einen Kampf gegen das Patriarchat führen, mit diesen Kategorien nicht identifizieren können. In diesem Zusammenhang sollte die feministische Bewegung Themen angehen, wie dass in feministischer Literatur diese Erfahrungen und Fortschritte von Frauen nicht anerkannt werden und ihre Organisationen nicht erwähnt werden.

Wir glauben, dass alle Frauenbewegungen, die gesellschaftliche Werte vertreten und gegen die patriarchale Zivilisation der Nationalstaaten kämpfen, so wie die Frauen, die innerhalb der Achse der demokratischen Zivilisation Widerstand leisten, zusammenkommen sollten um ein gemeinsames Paradigma der Frauen zu verfassen. Aus diesem Grund denken wir, dass es einer der wichtigsten Beiträge zum weltweiten Frauenbefreiungskampf ist die Kämpfe, die weltweit von Frauen geführt werden anzuerkennen und ihre Bemühungen und Erfahrungen mit ihrem eigenen Ausdruck in der Literatur festzuhalten.

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